Die Industrie 4.0 beschäftigt die Wirtschaft, und damit auch die Landwirtschaft. Kühe werden automatisch gemolken, Schweine automatisch gefüttert, Weizenfelder mit Sensoren auf Schädlinge abgesucht. Wie diese Änderungen die Landwirte konkret in der Praxis betreffen, das war mit ein Thema am "Brennpunkt Nahrung" am Dienstag in Luzern.

Digitalisierung passiert schon heute

So viel vorneweg: die Digitalisierung ist schon seit geraumer Zeit im Gange, so Referent Felix Wortmann, Assistenzprofessor für Technologiemanagement an der Universität St. Gallen. "Früher hatte jede Kuh noch einen eigenen Namen. Physisch wusste der Bauer, wie es der Kuh ging. Heute haben Landwirte Tausende von Kühen und so kann sich der Bauer nicht mehr um jede Einzelne kümmern. Das übernimmt die Maschine", führte Wortmann aus.

Dass die Sensoren immer kleiner werden, macht die Überwachung einfacher. Derzeit wird an Sensoren geforscht, die sich aus der Körperwärme der Kühe mit Energie versorgen können. Die Digitalisierung geht also im Eiltempo voran. Sie muss aber auch bei den Menschen ankommen.

Dies unterstrich Stephan Sigrist, der Gründer und Leiter des Think Tank Wire: "Die digitalen Innovationen müssen in die Gesellschaft eingebunden werden". Die Digitalisierung erzeuge nur dann ein Mehrwert, wenn sie auf Akzeptanz stosse, sagte Sigrist weiter. Dies gelte auch für die Landwirtschaft.

2050: Kühe, Menschen und die Umwelt bleiben

Wie die Landwirtschaft in der Schweiz 2050 aussehen soll, erklärte Nadja El Benni von Agroscope. El Benni geht davon aus, dass im Jahr 2050 Grasmengen und Grasqualität mit Drohnen erfasst werden. Auch würden die Tiere und ihre Gesundheit sowie ihr Verhalten anhand von digitalen Systemen analysiert.

Geräte wie Smartbow, die über die Ohrenbewegungen Wiederkauverhalten, Brunst oder allgemein den Gesundheitszustand überwachen, werden schon heute eingesetzt. Fütterungsroboter füttern die Tiere je nach Bedarf. Auch das Melken könne ein Roboter übernehmen. Er erfasse gleichzeitig die Milchqualität. «Alle diese Beispiele zeigen, dass wir bereits Innovationen nutzen. Es ist aber davon auszugehen, dass wir im Jahr 2050 noch viel weiter stehen», sagte El Benni.

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Landwirte werden mitziehen 

Dass auch die Landwirte mitziehen werden, ist für El Benni klar. In Deutschland seien bereits 1900 Melkroboter im Einsatz, obwohl die Technologie erst 1992 in Holland eingeführt wurde. Mit den nächsten Investitionszyklen ist also damit zu rechnen, dass viel mehr als die derzeit in der Schweiz laufenden rund 700 Melkroboter installiert werden.

Es gebe aber Hürden für die digitale Entwicklung in der Landwirtschaft. Etwa bräuchten die Betriebe die entsprechende Infrastruktur und funktionierende Datenplattformen. Weiter müsse erst ein rechtlicher Rahmen geschaffen und die Frage des Datenschutzes geklärt werden. Auch müsse man daran arbeiten, die verschiedenen Geräte in einem System zu vernetzen.

Wie El Benni sagt, bleibt trotz allen Veränderungen vieles gleich: Die Umwelt, die Tiere und der Mensch. Auch der Wettbewerb und der Markt würden weiter bestehen. "Wir müssen schauen, dass wir die für die Schweizer landwirtschaftliche nötigen Technologien entwickeln, welche nicht auf dem internationalen Markt angeboten werden", erklärte El Benni. So könne man den individuellen Anforderungen der Schweizer Landwirtschaft gerecht werden.

Wie sieht es im digitalen Kuhstall aus?

Was in der Theorie gut tönt, hat Rosmarie Fischer-von Weissenfluh zusammen mit ihrem Mann in die Praxis überführt. Sie führt mit drei Angestellten einen Hof in Blumenstein BE. Das Ehepaar setzt einen Futter- sowie einen Melkroboter ein. Fischer-von Weissenfluh ist auf einem Hof im Berggebiet aufgewachsen. An ihr könne man die Entwicklung der Landwirtschaft sehen, sagt sie. "Als ich aufgewachsen bin, hatten wir in der Alphütte kein fliessend Wasser und keine Zufahrtstrasse – heute nutzen wir einen Melk- und einen Fütterungsroboter."

Die Kuh sei unter dem Strich besser dran. Sie könne selbst entscheiden, ob sie fressen, liegen oder sich melken lasse wolle. Für Fischer-von Weissenfluh ist deshalb klar, dass auch die Milch eine höhere Qualität habe. Sie stelle trotzdem fest, dass der grosse Run auf gute Milch ausbleibe; was ihr auch bessere Milchpreise verwehrt.

Mit den neuen Methoden, welche sie nutzten, könne die Kuh selbst entscheiden, ob sie essen oder schlafen gehe oder sich melken lasse. Trotzdem sei ihre Milch nicht begehrterer und könne nicht besser vermarktet werden, so die enttäuschte Fischer-von Weissenfluh. "Früher sass ich mit meinem Vater im Stall bei Laternenlicht und habe über die Welt philosophiert, heute stehe ich mit einer Kaffeetasse im Technikraum und schaue auf meine Kühe, ich habe kein Problem mit dieser Veränderung: Wir sind nicht schlechter, weil wir moderner produzieren", ist Fischer-von Weissenfluh überzeugt.

Alice Sager