Wer einmal das Seeland durchquert hat, dem bleiben zwei Dinge in Erinnerung: Die dunkle Farbe der Erde und die weiträumigen Gemüsekulturen. Wer allerdings genauer hinschaut, dem fallen weitere Besonderheiten auf: Zum Beispiel, dass teilweise die Dolendeckel aus den Feldern herausragen, und dass viele Feldwege höher sind als die Felder selber. Der Grund liegt darin, dass sich der stark torfhaltige Boden immer weiter absenkt.

Der Torf baut sich ab

Das Seeland war über Jahrtausende hinweg ein Sumpfgebiet, dessen Untergrund vor allem aus Torf bestand. Dieser Boden war zwar fruchtbar, doch die ständigen Überschwemmungen führten dazu, dass die Bewohner immer mehr verarmten und sich gefährliche Seuchen wie Malaria ausbreiteten.

Nicht zuletzt im Bemühen, den guten Boden zu retten und eine sichere Nahrungsmittelproduktion zu gewährleisten, wurde zwischen 1868 und 1878 eine erste Juragewässerkorrektion durchgeführt - ein gewaltiges System zur Entwässerung des Grossen Mooses zwischen Solothurn und Orbe VD. Unter anderem wurden die Kanäle Zihl, Broye und Nidau-Büren gebaut, um die Seespiegel zu senken und den Abfluss des Wassers zu verbessern.

Durch diese Massnahme konnte vor über 100 Jahren sehr viel Kulturland gewonnen und die Gefahr von Überschwemmungen stark eingedämmt werden. Allerdings: Mit der Entwässerung einerseits und der Luftzufuhr anderseits begann sich der Torf abzubauen, indem er sich in Kohlendioxyd (CO2) umwandelte.

Die Folge davon: Der Boden begann sich abzusenken, so dass zwischen 1962 und 1973 eine 2. Juragewässerkorrektion nötig wurde. Unter anderem wurden die Aare sowie die verschiedenen Kanäle ausgebaggert oder verbreitert. Gleichzeit wurde ein weitläufiges System aus Pumpen und Entwässerungsleitungen (Drainage) angelegt.

Massnahmen gefordert

Allen Bemühungen zum Trotz: Der Abbau des Torfs ging weiter, so dass beispielsweise Pro Agricultura Seeland an einer Tagung Anfang März eine 3. Juragewässerkorrektion ins Spiel gebracht hat. Denn darin sind sich alle einig: Ohne grossflächige Verbesserung des Bodens ist die intensive landwirtschaftliche Nutzung des Seelandes in absehbarer Zeit nicht mehr möglich. Nötig wären insbesondere eine Aufschüttung des Bodens, ein Ersatz des veralteten Entwässerungssystems und eine bessere Verfügbarkeit von Wasser während der Trockenperioden.

Bis hierhin herrscht Einigkeit unter den direkt und indirekt Betroffenen: Einige fragen sich allerdings, ob es im Seeland überhaupt weitergehen soll wie bisher: Jens Leifeld von der Eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope in Reckenholz beispielsweise empfahl gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), "die Produktion in vielen Fällen stark zurückzufahren", denn die Torfböden verursachten "Unmengen an Treibhausgasen (CO2)".

"Von Fantasievorstellungen wegkommen"

Auch Verena Wagner, Präsidentin von Pro Natura Bern, findet, man sollte "von der Fantasievorstellung 'weiter wie bisher' wegkommen". Vielmehr müsste man "in anderen, neuen Dimensionen denken und planen". Der Kanton sei zu Natur- und Lebensraumschutz verpflichtet. Im Grossen Moos seien Eigentumsverhältnisse, Klima, Strukturen und Potential zur Aufwertung gewisser Naturräume vorhanden.

Es sei nicht nachhaltig, am Bild vom "Gemüsegarten der Schweiz" festzuhalten und zur Bodenverbesserung zum Beispiel Aushubmaterial zu deponieren. Vielmehr müsse unvoreingenommen geprüft werden, in welchen Zonen weiterhin intensive Landwirtschaft betrieben werden könne, wo eine extensive Landwirtschaft empfehlenswert wäre und welche Gebiete "der Natur zurückgegeben" werden müssten. Wichtig sei, dass alle Interessenvertreter zu Kompromissen bereit seien.

Auch Pro Natura ist klar, dass es nicht sinnvoll wäre, das ganze Grosse Moos zum Naturschutzgebiet zu erklären und es wieder zu einem Sumpfgebiet werden zu lassen, wie es damals war, als das Seeland von den Einheimischen "Froschindien" genannt wurde.

Isidor Storchenegger, früherer Professor für Kulturtechnik und Gewässerregelung an der Universität Rostock, warnt grundsätzlich davor, dass "eine Wiedervernässung zur Ausbreitung von Stechmücken und damit zu Gesundheitsrisiken (Malaria, Zika, Tigermücken) führen würde, die in der heutigen, wärmeren Schweiz nicht akzeptabel wären".

Auch Peter Thomet, Agrarwissenschafter ETH und Präsident von Pro Agricultura Seeland (PAC), hält nichts von der Idee, das Seeland weitgehend zu einem Naturschutzgebiet umzufunktionieren: "Da käme noch eher Reisanbau in Frage." Weil aber "die Fortführung der bisherigen produktiven Nutzung kulturtechnisch und agronomisch gut möglich ist, sollte dieser Weg weiter beschritten werden."

Behörden und Bauern: Das Heu nicht auf der gleichen Bühne

Differenzen gibt es jedoch auch zwischen Behörden und Landwirtschaft, die beide an sich das gleiche Ziel verfolgen, nämlich die Verbesserung des Bodens bzw. die Aufschüttung der abgesenkten Erde durch "sauberen Boden", beispielsweise Aushubmaterial. Während die kantonalen Ämter in solchen Fällen nicht nur eine Baubewilligung verlangen, sondern vielfach auch ein Bodenschutzkonzept sowie eine bodenkundliche Baubegleitung, weist Peter Thomet darauf hin, dass den Landbesitzern und -bewirtschaftern für solch langwierige und teure Verfahren schlicht die Zeit und das Geld fehle. Er wirft den Behörden in diesem Zusammenhang sogar vor, gegen wichtige Rechtsprinzpien wie das Eigentumsrecht, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit sowie das Subsidiaritätsprinzip zu verstossen.

Etwas gemässigter äussert sich Urs Jenni, Vorstandmitglied von Pro Agricultura Seeland. Auch er verweist zwar auf die teilweise unterschiedlichen Positionen von Behörden und seiner Organisation. Immerhin betreiben aber beide Seiten seit eineinhalb Jahren gemeinsam das Projekt der Bodenkartierung des Seelandes. Die systematische Untersuchung des Bodens solle 2019/20 abgeschlossen sein, anschliessend gehe es darum zu überlegen, wo wie vorgegangen werden soll, so Jenni.

Dafür, dass dieses Vorgehen vielen Landwirten zu langsam und zu teuer erscheint, hat Jenni volles Verständnis. Anderseits mache es auch für den einzelnen Bauer Sinn, dass die Problematik überbetrieblich studiert und angegangen werde.

Martin Leutenegger, lid