Die Hunde bellen, als sich die unbekannte Besucherin dem Schafstall nähert. Als diese von Bruno Zähner freundlich begrüsst wird, hört das Gebell auf. Kein Grund mehr zur Aufregung. «So sollte es auch sein. Herdenschutzhunde müssen am Verhalten ihres Chefs ablesen können, dass keine Gefahr droht», sagt der Landwirt, der auf seinem Demeter-Milchschafbetrieb im zürcherischen Illnau rund 200 Schafe sowie acht Pyrenäenberghunde hält. Sechs eigene sowie zwei junge, die bei ihm die Ausbildung zum Herdenschutzhund durchlaufen und dann zu gegebener Zeit auf entsprechende Betriebe vermittelt werden.

Junge Hunde in Ausbildung

Über den Sommer kommen die Hunde jeweils auf der Alp Zanai oberhalb von Valens (St. Gallen) in einer Herde mit 1000 Schafen und 200 Ziegen zum Einsatz. «In dieser Gegend sind Wolfsrudel unterwegs, die schon auf Nachbarsalpen Tiere gerissen haben», sagt Bruno Zähner. Vor bald 13 Jahren hatte er erstmals zwei Herdenschutzhunde gekauft, «mehr aus Interesse daran, denn aus Notwendigkeit», wie er sagt. «Mit dem Wolf, der damals in der Surselva umherstreifte, gab es kaum Probleme.»

Auf Kommando zur Herde

Der Schäfer lernte im Umgang mit den Hunden immer mehr dazu, erweiterte seine Meute und begann nach ein paar Jahren, selbst Jungtiere zu Herdenschutzhunden auszubilden. Wenn die Welpen zu ihm kommen, sind sie zwölf Wochen alt. Sie lernen zunächst die Lektionen, die jeder andere Junghund auch lernen sollte. Dazu kommen die spezifischen Aufgaben eines Herdenschutzhundes, bei den Schafen zu bleiben und sie zu bewachen, auch wenn sich die Bezugsperson entfernt.

Zähner bringt seinen vierbeinigen Sprösslingen beispielsweise bei, auf das Stimmkommando «Ferma» zur Herde zu gehen. Er erklärt: «Für die Hunde sind die Schafe Teil der Familie, diese zu beschützen beruht auf ihrem Instinkt.» Seine Hunde fühlen sich bei den Schafen sichtlich wohl. Juna beispielsweise liegt ausgestreckt zwischen den Mutterschafen mit ihren Lämmern. Anfangs komme den Junghunden gerne noch ihr Spieltrieb in die Quere, sie müssten zum Beispiel lernen, dass Lämmer es nicht vertragen, wenn man sie an den Ohren oder am Schwanz packt.

Dem Menschen zugewandt

Das Training findet im täglichen Umgang statt. Wichtig ist auch, dass der angehende Schutzhund seine Aufgabe hinter sich lassen kann, wenn er sich nicht in der Herde befindet. So soll es auch möglich sein, mit ihm entspannt zu spazieren oder einkaufen zu gehen. Im Alter von 15 bis 20 Monaten sollten die Hunde bereit sein, die Prüfung zu absolvieren, deren Bestehen sie in der Schweiz offiziell als Herdenschutzhund ausweist.

Die Schafe als Familie

Herdenschutzhunde haben Bedürfnisse wie andere Hunde auch, sie benötigen Betreuung, Zuwendung und genügend Auslauf. «Früher wurden eher scheue Rassenvertreter ausgesucht, weil man davon ausging, dass eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Aufgabe als Herdenschutzhund von Vorteil sei», sagt Bruno Zähner. «Heute sieht man das anders, die Hunde sind zutraulicher und dem Menschen zugewandter, was den Umgang mit ihnen vereinfacht. Es hat sich gezeigt, dass sich dies nicht nachteilig auf ihre Funktion als Herdenbeschützer auswirkt.» Obwohl die Hunde ihre «Familie» vehement verteidigen und dies vor allem mit lautem Gebell zum Ausdruck bringen, hätten sie auch eine gewisse Beisshemmung, was züchterisch erwünscht sei. «Das heisst, sie beissen nicht einfach drauflos», sagt Zähner. Dennoch, wenn sie sich schützend vor die Herde stellen, sollte man als Passant stehen bleiben und Distanz wahren. Wer weiter auf sie zuginge, würde einen Angriff provozieren.

Nicht mitten im Dorf

Auch sollte man nicht davonrennen, was eine Verfolgung durch die Hunde zur Folge haben könnte. Doch nicht selten sind es andere Faktoren, die zu brenzligen Situationen führen können: «Eine Provokation sind andere Hunde im Gefolge von Wanderern oder Spaziergängern, die der Herde nahe kommen», so der Landwirt. «Jogger oder Biker, die plötzlich auftauchen, aber auch Gleitschirmflieger, die sich aus der Luft nähern, stellen ebenfalls eine Herausforderung dar.»

Bruno Zähner ist als Herdenschutzbeauftragter des Kanton Zürich beratend tätig. Wenn er einen Betrieb anschaut, prüft er zunächst, welche technischen Schutzmassnahmen, wie beispielsweise Zäune, sich dazu anbieten. Dies ist einfacher, als sich gleich einen Hund anzuschaffen. «Für Herdenschutzhunde braucht es spezielle Voraussetzungen, die nicht jeder Betrieb erfüllt», sagt Zähner. «So muss grundsätzlich die Bereitschaft vorhanden sein, einen Hund zu halten, was bedeutet, sich tagtäglich mit ihm abzugeben.» Auch sei nicht jeder Standort zum Halten solcher Hunde geeignet.

Gerade wo sich ein Betrieb mitten im Dorf befindet, ist davon abzuraten. Schlussendlich braucht jeder Betrieb, der Herdenschutzhunde halten will, eine Bewilligung, um dazu direktzahlungsberechtigt zu sein.

Die Nachfrage steigt

Grund, die Herde vor Grossraubtieren zu schützen, gibt es auch hierzulande immer mehr: Aus der Wolfspopulation in Graubünden, die sich in den letzten Jahren etabliert hat, bilden sich immer mehr Rudel. Eines hat sich erstmals auch im Kanton Glarus niedergelassen. Wölfe drängen zudem immer mehr in weitere Regionen vor. So ist inzwischen auch die Nachfrage nach Herdenschutzhunden angestiegen. «Doch diese kann man nicht einfach rasch aus der Schublade ziehen», sagt Zähner. «Die Zucht muss vorgängig geplant werden und auch die Ausbildung benötigt Zeit.»

Entsprechende Zuchtstätten gäbe es hierzulande nur wenige, daher sei man auch auf das Ausland angewiesen. Die Nachfrage nach Herdenschutzhunden komme bisher vor allem von Schäfern, doch gebe es auch einige Mutterkuhhalter, die sich dafür entschieden haben. Ihm sei sogar ein Betrieb bekannt, der die Hühner und Enten von Herdenschutzhunden bewachen lässt.

Weitere Informationen: www.biolandbau-guggenbüel.ch 

 

Herdenschutzhunde

Die Tradition der Herdenschutzhunde ist alt. In der Schweiz jedoch sind Herdenschutzhunde erst wieder im Einsatz seit der Wolf Ende des letzten Jahrhunderts zurückgekehrt ist. Anders als Hütehunde arbeiten sie nahezu selbstständig, ohne Mensch, jedoch im Verbund mit anderen Hunden. Als Faustregel gilt: Zwei Hunde können für rund zweihundert Nutztiere genügend Schutz bieten, pro dreihundert weitere Nutztieren wird je ein zusätzlicher Hund empfohlen. Derzeit werden im Rahmen des nationalen Herdenschutzprogramms rund 250 Herdenschutzhunde auf etwa 100 Schweizer Alpen oder Weiden eingesetzt, vorwiegend bei Schaf- oder Ziegenherden, vereinzelt auch bei Rinderherden. Die beiden vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) aktuell als offizielle Herdenschutzhunde anerkannten Rassen sind der «Montagne des Pyrénées» und der «Maremmano Abruzzese». Der Einsatz von offiziellen Herdenschutzhunden wird finanziell unterstützt, sofern eine Bewilligung des Bafu vorliegt. Für den Halter ist ein Einführungskurs obligatorisch.

Weitere Informationen: www.herdenschutzschweiz.ch