Tierärztinnen und Tierärzte fühlen sich bei ihrer Arbeit häufig in der Rolle von Feuerwehrleuten. Üblicherweise werden sie erst dann von den Landwirten gerufen, wenn es bereits brennt. Meist sind akute Probleme mit der Fruchtbarkeit, der Eutergesundheit oder Klauenkrankheiten der Grund. Warum sollte man auch tierärztliche Hilfe suchen, wenn alle Tiere im Betrieb gesund sind? Viele Landwirtinnen und Landwirte stellen sich diese Frage, dass kann Michèle Bodmer, Leiterin des Departements für klinische Veterinärmedizin an der Vetsuisse-Fakultät Bern, bestätigen. Dabei ist aus verschiedenen Studien ersichtlich, dass eine regelmässige Bestandesbetreuung die Wirtschaftlichkeit eines Betriebes verbessern kann.

Krankheiten früh erkennen

Eine regelmässige und routinemässige Bestandsbetreuung, bei der die betreuende Tierärztin etwa alle zwei bis vier Wochen auf den Hof kommt, hat sich hierzulande vor allem in der Rinder-haltung bisher noch nicht flächendeckend etabliert. In der Schweine- und Geflügelhaltung sieht dies anders aus. Sowohl in der Schweiz, als auch in anderen Ländern hat sich das Betreuungs-Modell bei diesen Produktionszweigen schon stärker durchgesetzt.

Auch bei Kühen und Rindern sinnvoll

Dabei ist die Bestandesbetreuung für den Milchvieh- oder Rindermastbetrieb ebenfalls sehr sinnvoll. «Das Ziel ist, die Herde durch Früherkennung und Vorbeugung von Krankheiten gesund zu erhalten und damit eine gute Produktivität zu sichern», so Bodmer. Prinzipiell eigne sich eine Bestandesbetreuung für alle Betriebe, denn unabhängig von der Herdengrösse wird dadurch die Tiergesundheit und Leistung auf Herdenebene analysiert und präventiv erhalten. Das Konzept der Bestandesbetreuung beruht auf vier Standbeinen:

  • Regelmässige Besuche mit systematischer Dokumentation der Befunde durch eine spezielle Software,
  • periodische Berechnung von Kennzahlen zur Beurteilung der Herdengesundheit und der Leistung,
  • Abgleich der Kennzahlen mit betriebsindividuellen Zielwerten und
  • Diskussion von möglichen Massnahmen, um eine Verbesserung zu erreichen.

Im Fokus der Bestandesbetreuung stehen in der Milchviehhaltung die Fruchtbarkeit, die Euterge­sundheit, die Klauengesundheit sowie die Jungtiergesundheit. Bei der Rindermast werden andere Fokuspunkte gesetzt. So sind hier etwa ein Monitoring der Jungtiererkrankungen, Parasitosen und des Tageszuwachses z. B. bei Mutterkuhherden sinnvoll.

Tierarzt und Berater: Zusammenarbeit mit Potential

«In der Milchviehhaltung ist die Bestandesbetreuung im klassischen Sinne sicherlich stärker verbreitet als in der Rindermast. In der Mast sind es häufig nicht-tierärztliche Berater, die eine Art Betreuung anbieten. Da gibt es meines Erachtens viel Potenzial in der Zusammenarbeit von Tierärzten und anderen Beraterinnen auf dem Betrieb», sagt Michèle Bodmer. Die Tierärztin erklärt weiter, dass auch Mutterkuhhaltungen von einer tierärztlichen Bestandesbetreuung profitieren können. Allerdings werde bei diesem Produktionszweig sehr knapp kalkuliert und die Bestandesbetreuung oft als reiner Kostenfaktor betrachtet.

Tagesaktuelle Daten helfen

Dabei liegt der Nutzen für Landwirtinnen und Landwirte darin, dass die eigenen Tiergesundheitsdaten jederzeit tagesaktuell sind. Krankheiten in der Herde werden früh erkannt, was es ermöglicht, dass eine schnelle Kontrolle des Geschehens eingeleitet werden kann.

«Der Tierhalter profitiert von geringem Antibiotikaeinsatz»

Michèle Bodmer nennt als klassisches Beispiel die systematische Beprobung von Kühen mit hohen Zellzahlen bei der routinemässigen Bestandesbetreuung. «Damit wird ein Mastitisproblem bereits erkannt, bevor die Tankzellzahl soweit ansteigt, dass mit Abzügen oder Milchsperre zu rechnen ist. Ausserdem profitiert der Tierhalter von einem geringeren Antibiotikaeinsatz», so Bodmer.

Spezielle Fortbildung geplant

Für Tierärzte und Tierärztinnen ist die Bestandesbetreuung ein Wirkungsbereich mit Zukunftspotenzial. Demnach können sich interessierte Veterinäre über ein Fortbildungsprogramm für die in der Bestandesmedizin wichtigen Bereiche zunächst theoretisch weiterbilden. Im Anschluss an die Theoriemodule gibt es ein Coaching durch einen erfahrenen Tierarzt, der ganz konkret bei der Umsetzung in der Praxis unterstützt und über Organisation, Infrastruktur, Marketing und Vorgehen im Stall informiert. Nach erfolgreicher Absolvierung kann das Programm mit einem Fachausweis der Gesellschaft Schweizerischer Tierärzte abgeschlossen werden.

Chance zur Verbesserung der Tiergesundheit

Fokussiert sich die Rolle er Tierärztin auf landwirtschaftlichen Betrieben durch die regelmässige Bestandesbetreuung auf Präventivmedizin, kann akuten Problemen in den Bereichen Fruchtbarkeit, Eutergesundheit und Klauenkrankheiten zuvorgekommen werden. Da diese auch die häufigsten Abgangsursachen in der Milchvieh- und Rinderhaltung darstellen, liegt in der Bestandesbetreuung eine Chance zur Verbesserung der allgemeinen Tiergesundheit und des Tierwohls.