Kurz & bündig

- Die geplante Agrarpolitik fördert einen Totalverzichtvon Pestiziden anstelle eines gezielten Einsatzes.

- Moderne Technologien werden kaum unterstützt.

- Ergebnisse aus der Forschung finden wenig Einzug.

- Es wird mit einem 3,5 Prozent tieferen Selbstversorgungsgrad gerechnet.

Herr Keiser, Sie waren nicht erfreut, als Sie den Verordnungstext zur parlamentarischen Initiative gelesen haben. Weshalb?

Andreas Keiser: Seit vielen Jahren forsche ich mit meiner Arbeitsgruppe an der HAFL mit dem Ziel, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) im Ackerbau deutlich zu reduzieren, ohne die Ertragssicherheit und Qualität zu gefährden. Dies gelingt mit guten Fruchtfolgen, resistenteren Sorten, dem Umsetzen von vorbeugenden Massnahmen und bei Bedarf einem gezielten PSM-Einsatz.

Der pauschale Verzicht auf Pflanzenschutzmittel birgt hingegen ein grosses Risiko: Wir müssen mit regelmässigen Einbussen bei Ertrag und Qualität unserer Nahrungsmittelproduktion leben.

Und den Rest kaufen wir dann im Ausland ein?

Genau. Das können wir uns als reiches Land finanziell leisten. Ich denke aber, dass wir mit unseren sehr guten Produktionsvoraussetzungen auch eine Verpflichtung haben, einen angemessenen Teil der Lebensmittel in der Schweiz zu produzieren. Im erläuternden Bericht zum Verordnungspaket schreibt das BLW, dass mit einem Rückgang des Selbstversorgungsgrads um 3,5 Prozent gerechnet wird, bei einer gleichzeitigen Ausdehnung der Ackerfläche um 5 Prozent. Begründet wird dies mit Ernterückgängen als Folge des Verzichts auf PSM. Wir verlagern so unsere Emissionen einfach ins Ausland.

Was hätten Sie sich stattdessen im Bereich Pflanzenbau für agrarpolitische Impulse erhofft?

Entscheidend ist nicht nur der Hilfsstoffeinsatz pro Hektare. Viel wichtiger ist die eingesetzte Menge pro Tonne verkaufter Lebensmittel, also die Ressourceneffizienz.

Mit welchen Massnahmen wird denn eine Produktion mit Ertragseinbussen konkret gefördert?

Ein grosses Problem ist, dass Landwirte Massnahmen wie Herbizid- oder Insektizidverzicht auf der gesamten Kulturfläche umsetzen müssen. Das verunmöglicht eine standortgerechte Bewirtschaftung nach Bekämpfungsschwellen und missachtet die Prinzipien der integrierten Produktion.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Wenn ein Landwirt auf mehreren Parzellen Raps anbaut und feststellt, dass er auf einer Parzelle Erdflöhe behandeln muss, steht er vor einem Dilemma: Spritzt er, fällt der ganze Raps aus dem Extenso-Programm. Spritzt er nicht, hat er auf der betroffenen Parzelle massive Ertragseinbussen bis hin zum Totalausfall.

Der Bekämpfungsentscheid wird zu einer wirtschaftlich-administrativen Überlegung statt zu einer pflanzenbaulichen. Die Fachkompetenz der BetriebsleiterInnen kommt dadurch nicht zum Tragen.

Wieso gibt es diese Regel?

Das weiss ich nicht. Im Gemüsebau beispielsweise sollen die Landwirte gemäss Vernehmlassung die Massnahmen parzellenweise wählen können. Das macht auch absolut Sinn. Wieso soll das im Gemüsebau möglich sein, nicht aber im Ackerbau?

Könnte die Kontrollierbarkeit hier ein Problem sein?

Das ist möglich. Ich denke aber, dass die neue Agrarpolitik den Fokus auf die Wirksamkeit der Massnahmen im Hinblick auf eine Reduktion des PSM-Risikos und einer Erhöhung der Ressourceneffizienz legen sollte. Wir haben bereits heute Vorgaben, die im Detail kaum kontrolliert werden können.

Gibt es weitere Massnahmen, die agronomisch fragwürdig sind?

Bei den Herbizidverzichts-Beiträgen heisst es: «Bei Zuckerrüben ist der Verzicht ab dem 4-Blatt-Stadium bis zur Ernte zwischen den Reihen vorgeschrieben. Somit ist ab dem 4-Blattstadium nur mechanische Unkrautbekämpfung zwischen den Reihen erlaubt.»

Wer auf die Conviso-Rübe setzt, kann also im 4-Blattstadium eine ganzflächige Herbizidbehandlung machen und erhält die Beiträge, ohne dass er eine Bandspritzung macht und hackt. Es bekommen also Produzenten Beiträge für den Verzicht auf Herbizid, ohne dass sie auf Herbizid verzichten, hacken oder eine Bandspritzung vornehmen. Ich halte dies für die Glaubwürdigkeit der Massnahme als sehr gefährlich.

Sie finden nicht nur Einzelmassnahmen, sondern die gesamte Stossrichtung des Verordnungspakets problematisch. Können Sie das ausführen?

Ich frage mich, wie ein solches Paket auf motivierte Bauernfamilien wirkt. Die Botschaft scheint folgende: Egal, wie viel und welche Qualität ihr produziert, Hauptsache, der Input pro Hektare sinkt.

Das hat nichts mit integrierter Produktion zu tun. Bei einem Label, wo am Markt ein Mehrwert generiert werden kann und Produzenten bessere Preise erlösen, kann ich verstehen, dass zwecks Kommunikation der Leistungen ein Totalverzicht gefordert wird.

Durch diese vom Bund verordneten Massnahmen könnten aber auch die Labels unter Druck kommen, weil sich der ÖLN ihnen annähert. Ein Mehrerlös entsteht dabei aber nicht, wenn der Markt für Labelprodukte nicht gleichzeitig deutlich ausgedehnt werden kann. Statt eines Totalverzichts pro Kultur wäre denkbar, das Gesamtrisiko pro Betrieb zu reduzieren. Die Betriebsleiter würden dazu motiviert, die PSM möglichst gezielt einzusetzen, sprich parzellenspezifisch und angepasst an den saisonalen Schädlingsdruck.

Sie vermissen die Unterstützung moderner Technologien und innovativer Konzepte. Haben Sie Beispiele?

Ziel des Verordnungpakets ist eine Reduktion der Risiken durch Pflanzenschutzmittel um 50 Prozent bis 2027 im Vergleich zum Mittel der Jahre 2012 bis 2015. Dazu braucht es nicht einen Vollverzicht, sondern einen gezielten Einsatz durch die Nutzung neuester Techniken bis hin zu autonomen Robotern. Diese sucht man in der Verordnung jedoch vergebens.

Wichtig wäre die generelle Förderung von Bandbehandlungen in Kombination mit Hacken zur Unkrautregulierung. Auch bei den Insektiziden gegen Erdfloh und Blattläuse lassen sich mit Bandbehandlungen in den Rüben und weiteren Kulturen bis zu 80 Prozent der Wirkstoffmenge einsparen! Das kostet zwar etwas, bringt aber erwiesenermassen auch viel. Mit GPS- oder Kamera-gestützten Feldspritzen oder autonomen Robotern könnten die Aufwandmengen in Zukunft noch weiter reduziert werden.

Sie haben mit Geldern vom BLW die Praxistauglichkeit solcher Massnahmen untersucht. Was ist mit den Ergebnissen passiert?

Nichts von unseren Resultaten wird in der neuen Verordnung umgesetzt. Das ist bitter – nicht zuletzt für Landwirte und Lohnunternehmer, welche bereits in moderne Technologien investiert haben.

Geraten mit dieser Agrarpolitik intensive Kulturen stärker unter Druck als extensive?

Es könnte zu einer Verschiebung hin zu extensiven Kulturen wie beispielsweise Getreide kommen. Das wäre schade und gefährlich: Vielfältige Fruchtfolgen sind praktisch ein Alleinstellungsmerkmal der Schweizer Landwirtschaft und die Basis für einen produktiven Ackerbau mit moderatem Pflanzenschutzmitteleinsatz.

Diese vielfältigen Fruchtfolgen müssen wir erhalten und noch verbessern. Sie sind die Basis für einen gesunden Boden und einen nachhaltigen Ackerbau. Die intensiven Kulturen sind zudem wichtig für die Wertschöpfung im Ackerbau.

Immer wieder war von administrativer Vereinfachung die Rede. Das Dokument zur Vernehmlassung umfasst nun 131 Seiten. Muss man sich von der Idee der administrativen Vereinfachung verabschieden?

Die Vorschriften und Aufzeichnungspflichten werden in allen Branchen immer umfassender. Ich denke nicht, dass das in der Landwirtschaft anders wird.

Eine Vereinfachung ist dringend nötig. Für Bauernfamilien ist es kaum mehr möglich die Übersicht über alle Massnahmen und Auflagen zu behalten. Ich hätte da schon Ideen, aber das würde hier zu weit führen.

Haben Sie noch einen Wunsch zum Schluss?

Ja, ich wünschte mir, dass die gesamte Ernährungswirtschaft Verantwortung für eine gesunde Umwelt übernimmt und das unbestritten grosse Potenzial zur Senkung des Hilfsstoffeinsatzes in Zukunft ausschöpft. Die Branchen sollten selber aktiv werden und praktikable Lösungen unterstützen – und nicht immer warten, bis die Politik Druck macht.

Entstehungsgeschichte

- Am 29. August 2019 reicht die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) die Parlamentarische Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» ein.

- Nachdem das Parlament die Agrarpolitik AP22+ sistiert hat, wurden Teile des «Massnahmenpakets als Alternative zur Trinkwasserinitiative» der AP22+ in die Parlamentarische Initiative überführt.

- In der Frühlingssession 2021 hat das Parlament die Beratung der Parlamentarischen Initiative abgeschlossen. Diese galt als inoffizieller Gegenvorschlag zur «Trinkwasserinitiative» und zur Initiative «Schweiz ohne synthetische Pestizide».

- Als Ziel wurde vereinbart, dass die Risiken für die Bereiche Ober-flächengewässer und naturnahe Lebensräume sowie die Belastung im Grundwasser bis 2027 im Vergleich zum Mittelwert der Jahre 2012 bis 2015 um 50 Prozent vermindert werden müssen.

- Das detaillierte Verordnungspaket zur parlamentarischen Initiative ging bis am 18. August 2021 in Vernehmlassung. Die Auswertung steht noch aus.

Zur Person

Dr. Andreas Keiser ist an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen BE seit 1999 Leiter der Gruppe Ackerbau und Pflanzenzüchtung. Die Optimierung von Produktionssystemen im Ackerbau gehört zu seinen Forschungsschwerpunkten. Er hat mit seinem Team diverse Strategien zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln im Acker- und Gemüsebau untersucht. Keiser ist auch in der Lehre tätig.