Die dramatischen Bilder aus England, wo riesige Haufen von Tierkadaver verbrannt wurden, sind uns allen immer noch präsent. Die älteren Einwohner erinnern sich dabei noch sehr genau an den Mai 1963, als in unserem Dorf die Maul- und Klauenseuche ausbrach.

Chronologie eines Albtraums

Es war in der Auffahrtswoche, am Montag den 21. Mai 1963 am Vormittag, als der Bauer Jakob Hedinger bei einer Kuh feststellen musste, dass sie nicht richtig fressen wollte. Nach einem kurzen Gespräch mit seinem Nachbarn, verständigte er den Tierarzt. Dieser hatte sehr schnell den schwerwiegenden Verdacht: Die Kuh könnte die Seuche haben! Noch am selben Tag wurde der Bezirkstierarzt benachrichtigt und dieser ordnete umgehend die Schlachtung sämtlicher Rinder und Kühe an. Der Hof «ob der Säge» wurde zum Sperrgebiet erklärt.

Sperrgebiet!

Das ganze Hofareal musste sofort mit Barrikaden abgeriegelt werden. Überall hängte man Warnschilder auf. Katzen wurden eingesperrt. Niemand durfte den Hof verlassen oder betreten. Für Hedingers zwei Kinder bedeutete dies: Keine Schule, eingesperrt zuhause. Nicht ganz einfach. Wer die beiden Buben kannte wusste, dass dies sehr schwierig war. Die dringlichen Feldarbeiten, wie etwa das Vereinzeln der Runkelrüben, wurde auf Hedingers Acker von Kollegen verrichtet.
Wie aber kam die Seuche auf den Hof von Hedingers?

 

Maul- und Klauenseuche - wir blicken zurück

Sie war eine gefürchtete Seuche der Schweiz: Die Maul- und Klauenseuche. Vor 60 Jahren trat sie hierzulande massiv auf, vor allem 1965 traf es einen Betrieb nach dem anderen. Wir werfen einen kurzen Blick zurück. Weiterlesen

Im Winter 62/63 waren in der Schweiz an verschiedenen Orten Fälle von Maul- und Klauenseuche aufgetreten. Am heftigsten wütete die Seuche im Luzernischen und im Aargau. Schliesslich erreichte sie im Mai auch unsern Bezirk. Am 10. Mai , einem Freitagnachmittag, wurde auf einem Hof in Affoltern am Albis der Ausbruch in einem Kuhstall festgestellt. Mehrere Kühe waren teilweise schon sehr schwer erkrankt, da der betroffene Bauer nicht schon beim ersten Anzeichen den Tierarzt beigezogen hatte. So war es denn nur logisch, dass in den nächsten Tagen auf weiteren Höfen in der Umgebung die Krankheit festgestellt wurde. In Affoltern weilte auch eine Militäreinheit. Diese absolvierte ihren Dienst mit verschiedenen Truppenübungen in der Region. Eine solche Übung fand am Freitag, 11. Mai auch in Bonstetten statt. Für die Soldaten war es eine willkommene Gelegenheit, sich in der Scheune von Jakob Hedinger auszuruhen. Der für die Abendfütterung bereitgemachte Heuhaufen bot sich geradezu als idealer Ruheplatz an. Das Heu wurde noch am gleichen Abend an die Kühe verfüttert. 10 Tage später brach die Seuche auch in diesem Stall aus.

Eine schwierige Zeit

Am Dienstag den 22. Mai, wurde unter Aufsicht des Bezirkstierarztes und eines Beamten der Veterinärpolizei der gesamte Rindviehbestand von Hedingers verladen. Genauer gesagt, der Bauer musste sie zusammen mit einem Vater eigenhändig in den Kontainerwagen führen, da es selbst den Chauffeuren untersagt war, die Tiere zu berühren. Die Nachbarn standen an den Fenstern, und schauten diesem Verladen fassungslos zu. Alle waren zutiefst betroffen.
Um eine weitere Ausbreitung im Dorf zu verhindern, wurden am nächsten Tag alle Kühe und Rinder in der Gemeinde geimpft. Auf den Zufahrten zu allen Höfen mussten Sägemehlteppiche angelegt werden, welche man mit Natronlauge übergoss. So wurden die Räder und Schuhe der Besucher desinfiziert. Die Milch wurde fortan abgeholt, damit sich die Bauern in der Sammelstelle nicht noch gegenseitig die Seuche weiterreichten. Diese Massnahmen galten für drei Wochen. Dann endlich sollte der Impfschutz wirken.

Hof um Hof, Stall um Stall

Auf dem Hof der Hedingers musste in den nächsten Tagen der Stall mit heisser Natronlauge herausdesinfiziert werden. Vom (im Frühling kleinen ) Heustock wurde die äusserste Schicht , ca ½ Meter weggeworfen. Im Wohnhaus mussten sämtliche Räume desinfiziert werden. Hedingers erhielten zwei Öfen, in welche man eine spezielle Flüssigkeit einzufüllen hatte. Wenn der Ölofen warm wurde, verdunstete diese. So musste Zimmer für Zimmer desinfiziert werden. Nur mit viel Glück konnte Jakob Hedinger eine Feuersbrunst verhindern: Fast durch Zufall entdeckte er, dass das Taburett, auf dem der Ölofen stand, bereits angekohlt war.

Im Stall von Fritz Schnabel, dem nächsten Nachbar von Hedingers, brach wenige Tage später bei den Schweinen ebenfalls die Seuche aus. Sie wurden umgehend, zusammen mit allen Kühen geschlachtet. Das Jungvieh liess man stehen, da es in einer Feldscheune im «Feldenmaas» untergebracht war. Und wieder ein paar Tage später wurde die Seuche bei Ernst Illi in der «Hofwies» festgestellt. Da man annehmen konnte, dass der Impfschutz zu wirken begann, schlachtete man nur die drei erkrankten Kühe. Die anderen blieben dann tatsächlich gesund.

«Die anderen Bauern mieden uns am Anfang»

14 Tage nach Ausbruch der Seuche hatten die Hedingers die Reinigung und Desinfektion zur vollen Zufriedenheit der Inspektoren abgeschlossen und die Sperre wurde aufgehoben. Die anderen Bauern im Dorf blieben aber skeptisch. «Am Anfang sind uns alle aus dem Weg gegangen», erinnert sich Margrit Hedinger, «wenn man jemanden kreuzte, wartete dieser aus sicherer Distanz, bis man vorbei war. Erst dann setzte er den Weg fort».

Der Wert der gekeulten Kühe war amtlich geschätzt worden. Von dieser Schätzung wurden dem Bauern 90% ausbezahlt. Auf die Frage, wie hoch denn die Kühe abgeschätzt worden waren, meint Jakob Hedinger:» Die Entschädigung für meine 18 Tiere reichte gerade , um 11 neue zu kaufen». Die im Kanton Appenzell gekauften Kühe wurden noch dort gegen die Seuche geimpft. Sie konnten aber wegen der Quarantäne erst drei Wochen später geliefert werden. Allmählich normalisierte sich das Leben auf dem Hof «ob der Säge» wieder.

Der Bericht von Werner Locher erschien vor geraumer Zeit im Gemeindemagazin KOBO. Locher stelle uns den Bericht zur Veröffentlichung ebenfalls zur Verfügung.

 

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