Auch heute, im Pensionsalter, glaube ich noch an das Christkind. An den Osterhasen hingegen schon lange nicht mehr, denn als Bauernbube war für mich diese Geschichte bald aufgedeckt.

Ich freue mich auf die strahlenden Augen meiner Enkelkinder

Ich musste an einem Ostermorgen wie üblich im Stall mithelfen, und während mich der Vater an der Arbeit wähnte, sah ich ihm zu, wie er die verschiedenen Osternester bei der Holzbeige, hinter dem grossen Birnbaum und unter einem Beerenstrauch im Garten versteckte. Von den zehn Kindern, die wir waren, bekamen natürlich nur noch wir drei Jüngsten ein Geschenk vom vermeintlichen Osterhasen. Im nächsten Jahr konnte sich unser Vater diese Arbeit ersparen, da ich inzwischen auch meine älteren zwei Schwestern aufgeklärt hatte.

Aber das Christkind mit dem funkelnden Tannenbaum und den schönen Weihnachtsliedern, das ist bis heute Wirklichkeit geblieben, weil ich mich auf die strahlenden Augen meiner beiden Enkelkinder freuen darf. Auch wenn sich die Zeiten geändert haben, schneiden die Kinder noch immer ihre Wunschspielsachen aus den Versandkatalogen aus und lernen Verslein für das Christkind.

Die Krippe meines Bruders

Als ich noch Schulbub war, besuchte mein ältester Bruder im damaligen Jünglingsverein (Verein für schulentlassene Buben und junge Männer) einen Krippenkurs. Er nahm einen Kartoffelsack, legte ihn in Zementwasser ein. Bevor der Sack hart war, formte er eine Felsenhöhle daraus. Graublau gestrichen sah es wirklich wie echt aus.​

Am Felskopf verkündete ein farbiger Gipsengel den Hirten die Frohe Botschaft. Im Schutze der Höhle lag das Christkindlein in Windeln eingewickelt, wohlbehütet von Josef und Maria, auf einem echten Strohlager. Nur von einer winzigen Stalllaterne wurde ein selbstgezimmerter Heubarren beleuchtet. An ihm taten sich ein Ochse (mit Hörnern!) und ein Esel gütlich an dem echten, duftenden Heu, das ihnen von meinem Bruder vorgelegt worden war. Beide standen bis zum Bauch in frischem Stroh, wie das unsere Kühe im Stall draussen auch gewohnt waren.

Die Höhle war auf einem grossen Brett angeleimt, auf dem die Weidelandschaft aufgemalt war: fantasievoll durchsetzt mit Sträuchern, Dattelpalmen und weidenden Schafen. Ein Ziehbrunnen sicherte die Wasserversorgung für Mensch und Tier. Die Hirten wärmten sich an einem Feuer. Dieses war wie echt dargestellt: Säuberlich aufgeschichtete Hölzlein über einem rot bemalten Glühbirnchen, das mit Strom einer verdeckten Taschenlampenbatterie gespeist wurde. Jeden Abend durfte eines von uns Kindern das Lagerfeuer anzünden. Wir hatten viel Freude an dieser Krippe.

Die Katze zieht um

Auch Mitzi, unsere Stubenkatze, strich schnurrend um die neue Krippe herum. Ihr bevorzugter Platz war eigentlich ein Kissen unter dem warmen Stubenofen. Mitzi wurde von uns viel gerühmt und gestreichelt, weil sie immer so fein nach Heu duftete. Sie musste ihren Lebensunterhalt mit Mäusefang verdienen, war also viel in der Tenne und auf dem Stroh- und Heustock beruflich unterwegs. Das Wohnquartier in unserer warmen Stube wurde ihr gerne gegönnt und der tägliche Einsatz gegen die Mäuse mit einem Tellerchen Milch entlöhnt.

In einer dunklen Winternacht jedoch, als alle schliefen, vollzog sie einen unerwarteten Wohnungswechsel. Mein Bruder wurde als Erster damit konfrontiert, weil er schon früh am Morgen wegen der Stallarbeit auf war. Auf dem Stubenboden verstreut die Schafe. Die Hirten im erloschenen Lagerfeuer liegend. Das Christkind nackt unter einem Strauch. Josef und Maria auf einem Ausläufer der Felsenhöhle, als wollten sie über den Berg flüchten. Ochs und Esel zuhinterst an die Höhlenwände gedrängt. Und behaglich auf einem zusammengescharrten Heu- und Strohlager schnurrend unsere Mitzi. Sozusagen das Epizentrum dieses morgenländischen Erdbebens. Für einmal wurde sie nicht gerühmt und gestreichelt, sondern fand sich unsanft bei den Schafen auf dem Stubenboden wieder.

Sorgsam baute mein Bruder die biblische Landschaft wieder auf und räumte den Statisten der Weihnachtsgeschichte ihre überlieferten Plätze ein. Doch er traute diesem himmlischen Frieden nur noch halb. So schlug er vorsorglich ein paar spitze Nägel von unten in den Krippenboden ein und tarnte die vorstehenden, giftig scharfen Spitzen mit etwas Moos aus dem Wald. Auffällig lange lag unsere Katze anderntags auf ihrem Lieblingskissen unter dem warmen Ofen und leckte stundenlang ihre Pfoten. … Und friedlich weideten die Schafe auf dem Felde.

 

Der spät erfüllte Bubentraum

Toni Merki hat noch mehr Geschichten auf Lager. Lesen Sie hier die Geschicht über seinen spät erfüllten Bubentraum. Zur Geschichte

 

 

Gefällt Ihnen was Sie lesen?

Warum nicht mal drei Monate «schnuppern»? Für nur CHF 20.- erhalten Sie 12 Print-Ausgaben (Regionen nach Wahl) plus Online-Zugriff. Gleich hier bestellen und bestens informiert bleiben!