Eine Kuh, die auf der Weide steht, gemäss SMP täglich 100 kg Gras und Heu frisst, wiederkäut, sich wohlfühlt und muht. Das jüngste und neuste Konzept ist nicht nur die Antwort auf die langsam nagenden Marktanteilsverluste. Es ist auch die lang ersehnte Antwort auf die Konsumtrends, die mehr Gewicht auf Nachhaltigkeit und Produkteherkunft legen.

Das Konzept und die Idee sind sympathisch, sachlogisch richtig und lassen sich auch verkaufen. Allerdings ist das Kommunikationskonzept nur ein Papier. Es zeigt nur einen Ausschnitt einer vielschichten Realität. Das ist nicht weiter schlimm. Denn die Welt ist zu komplex, als dass sie auf einer Zeitungsseite oder in einem Marketingkonzept Platz hätte. Allerdings gibt es gerade in der Milchproduktion noch weitere Realitäten: aus der Kuh von einst ist längst eine Maschine geworden. Und die Maschine verschleisst immer schneller. Ähnlich wie das chinesische Werkzeug bei der Landi, das zwar immer günstiger, dafür aber immer kurzlebiger wird. Immerhin wird eine durchschnittliche Braunviehkuh in der Schweiz nach wie vor fast sieben Jahre alt und produziert in 4,1 Laktationen 27'000 kg Milch. Beim Fleckvieh und den Holstein-Kühen ist die Lebenserwartung und die Lebensleistung einer durchschnittlichen Kuh kürzer bzw. tiefer: 6,2 bzw. 6,3 Jahre und 3,8 bzw. 3,3 Laktationen mit Leistungen von 26'000 bzw. 26'000 kg Milch. Das schreibt der Schweizer Tierschutz.

Vor 50 Jahren wurden die Kühe im Schnitt noch für sechs Laktationen genutzt. Und auch heute gibt es Kühe, die zehn, 15 oder 20 Laktationen und Lebensleistungen von über 100'000 kg Milch (üb-)erleben. Doch die meisten Tiere werden ausgemerzt, weil sie ihre Fruchtbarkeit verlieren, oder an Euter bzw. Klauen und Gliedmassen erkranken.

In der Viehzucht hat man schon lange darauf reagiert: Man will Milchleistung, Fruchtbarkeit und Klauengesundheit verbessern. Zudem gibt es heute mehr Wahlfreiheit denn je, für jeden Betrieb, für jeden Standort gibt es die passende Lovely. Das ist ein Verdienst der Viehschauen, der Zuchtorganisationen und aller Bauern, die sich selbst mit der Viehzucht auseinandersetzen. Es ist richtig, dass die Zuchtverbände auf Milchleistung, Fruchtbarkeit und die Klauengesundheit fokussieren. Aber es ist auch in etwa so, wie wenn man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben will. Denn ganz am Ende der Entwicklung, und gewiss etwas (zu) absolut formuliert, würde ein Etwas stehen, dass neben dem Euter und einer optimalen Futterverwertungsanlage nichts mehr hat. Eine solch ideale Kuh wäre, wie das billige chinesische Werkzeug, reduziert auf die Produktionsfunktion. Dass das Euter und die Futterverwertungsanlage aber noch mit einem braunen, schwarz- oder rotweiss gefleckten Fell überzogenen Skelett, einer rauen Zunge, manchmal mit Hörnern und immer mit Augen verbunden sind, die hinter der Produktionsmaschine auch ein 
Wesen vermuten lassen, hat dabei kaum Platz.

Und man stelle sich Lovely einmal vor, wie sie im Ausstellungsbereich der Swiss-Expo, der Expo Bulle, der Elite-schau, der IGBS-Schau oder an sonst einer Viehschau im Ausstellerbereich steht und wartet, bis ihr die Besitzer die Zitzen mit Collodium versiegeln. Man stelle sich vor, wie sich Lovely geduldig stylen lässt – nicht für das nächste Werbevideo, sondern für den Auftritt im Ring. Man stelle sich Lovely vor, wie sie im Ring bei Kunstnebel und Rockmusik mit gefülltem Euter auf das richterliche Verdikt wartet. Damit machen die SMP keine Werbung.

Damit macht nicht einmal die Viehzuchtbranche Werbung. Gewiss, Collodium, Kuhstyling, Rockmusik und Kunstnebel sind an den Viehschauen nicht verboten. Und man darf Lovely auf die grüne Wiese stellen, auch wenn der Kraftfuttereinsatz beim Milchvieh in der Schweiz langsam steigt.

Doch im Sinne einer glaubwürdigen Qualitätsstrategie kommen die Milch- und die Viehzuchtbranche nicht  darum herum, transparent zu bleiben oder zu werden. Bedenken müssen diskutiert werden. Dazu braucht es die Menschen in den Verbänden. Denn Lovely, die Marketingkuh, kann nicht diskutieren. Sie ist nur die Dekoration, die ab kommendem März für mehr Nachhaltigkeit und Herkunft werben soll. Es liegt also an den Milchbäuerinnen und Milchbauern, den Zuchtorganisationen, den Käsern, den Molkeristen und den Händlern. Sie alle müssen gemeinsam die Konsumenten überzeugen, dass sie auf einem Weg sind, den es mit dem Kauf von inländischen Produkten zu unterstützen lohnt.

Hansjürg Jäger

Dieser Artikel ist aus der BauernZeitung Printausgabe vom 8. Dezember: Mit dem Kauf eines Abos unterstützen Sie unsere Arbeit, zudem können Sie die BauernZeitung jetzt 4 Wochen kostenlos kennenlernen und dabei einen Reisegutschein im Wert von 3000 Franken gewinnen.