Denn wer weiterliest, bekommt in Kurzform die nächsten auf die Schweizer Landwirtschaft wartenden Probleme vorgesetzt. Da wären als Erstes die eingereichte Initiative «Für gesunde sowie umweltfreundlich und fair hergestellte Lebensmittel» (Fair-Food-Initiative) sowie die Initiative «Für Ernährungssouveränität». Diese beiden Initiativen könnten sich zu wahren Bürokratie- und Kontrollmonstern entwickeln, falls sie denn vor dem Volk eine Chance haben.


Gefährlich werden könnte allenfalls die eingereichte Initiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subvention für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz». Wer will verdrecktes Wasser und ungesundes Essen? Niemand. Das verschafft dieser Initiative vor dem Volk einige Chancen.

Die Landwirtschaft steht jedoch ständig unter genauer Beobachtung. In der Grossverteiler-Werbung wird eine heile, idyllische Landwirtschaft vorgegaukelt. Die Landwirtschaft kann jedoch in der Realität das von den Städtern erwartete Paradies nicht 1:1 abbilden. Alles auf dem Land soll hübsch sein, Blumen sollen auf den Wiesen blühen, freundliche Bauernmenschen sollen im Bauernhaus wohnen, aufmerksame, liebenswerte Bäuerinnen und Bauern sollen dem Städter in der Bauernbeiz gesundes Essen servieren und auf dem Markt gesundes Gemüse, gesundes Obst, gesunden Käse verkaufen.

Die Trinkwasser-Initiative bürdet das Heile-Welt-Bild ausschliesslich den Bauern auf. Private Gartenbesitzer, Gartenbau- und Bauunternehmer, die öffentliche Hand, Friedhofsgärtner, Hausabwarte und die SBB könnten nach wie vor fröhlich weiter mit der 
Giftpumpe spritzen. Als ob 
das nicht genug wäre, droht am Horizont Johann Schneider-Ammann mit seiner Gesamtschau. Auch er droht, den 
Bauern ans Lebendige zu gehen.

Es wäre wunderbar, könnte ich den Bäuerinnen und Bauern ein Rezept gegen all diese Ungewissheiten und Ängste ausstellen. Aber zur Beruhigung: Die Trinkwasser-Initiative braucht es gar nicht. Denn erstens produziert die Landwirtschaft bereits heute gesunde Lebensmittel und die Qualität des Schweizer Trinkwassers ist heute schon Spitze. Die Landwirtschaft will zudem den Pestizid-Einsatz mit dem «Aktionsplan Pflanzenschutz» halbieren. Ausserdem gibt es auf Bauernhöfen bereits ausreichend Biodiversitätsflächen. Und die Bauern selber wollen den steigenden Kraftfutterimporten mit Futtergetreide-Mehranbau bremsen.


Ist es aber nachhaltig und gesund, die Bäuerinnen und Bauern ständig zu verunsichern? Kürzlich an der Fleischrinder-Auktion in der Vianco-Arena erzählte mir ein Landwirt, wie er mit einer Liefermenge von 400'000 Kilo Milch, ächzend unter der Schuldenlast seiner neuen Scheune, dem sinkendem Milchpreis und Abzügen für zu geringen Fettgehalt in der Milch litt. Und als Gipfel der Frechheit musste er dazu noch Abzüge dulden, um mitzuhelfen, den überschüssigen

Butterberg zu exportieren! In der Folge quälten ihn Existenzängste. Prompt erlitt er einen Herzinfarkt.


Als Lösung verscherbelte er die Milchkühe und ersetzte sie durch Mutterkühe. Seither bleibe ihm wieder Luft zum atmen. Er wisse jetzt wieder, was Lebensqualität sei, versicherte er glaubhaft, trotz einem gesunkenem Einkommen als Fleischrinderproduzent, dafür mit weniger 
Kosten.

Ein ständiger Druck auf die Bäuerinnen und Bauern ist unmenschlich, doch wie dieses Beispiel zeigt, müssen eingefahrene Denk- und Handlungsmuster überprüft und wenn nötig angepasst werden. Die Betriebsentwicklung wird oder wurde oft im Grössenwachstum gesucht. Doch Anpassungsfähige sind den Unbeweglichen überlegen. Was nützen eine Million Kilo Milch, wenn die

Rechnung nicht aufgeht und die Arbeitslast erdrückend wird?

An Frühlingstagen wie diesen können Bäuerinnen und Bauern nicht vor sich hin philosophieren – der Traktor muss brummen! Was es braucht in diesem Land, sind Landwirte, die ihren Beruf mit Liebe, Stolz und Freude ausüben. Doch sie müssen hie und da mal aufschnaufen können. Wenn nötig, sind Denk- und Handlungsmuster zu ändern – zum Wohle aller. Es braucht unbedingt auch Lebensqualität auf dem Hof, damit Bäuerin und Bauer froh in die Zukunft blicken können.

Hans Rüssli