Während der letzten Jahre entwickelten sich zahlreiche Hilfsangebote in ganz verschiedenen Formen. Aber was braucht es, damit diese auch wirklich wahr- und angenommen werden? Was oft auffällt, ist die Betonung auf Anonymität. Ist dies der richtige Weg oder bräuchte es mehr echte Menschen, die von ihrem Schicksal erzählen und klar machen, dass Probleme menschlich sind? Eine allgemeine Antwort gibt es dazu kaum. Viel mehr muss man wohl bedenken: Die Bedürfnisse wechseln sich ab auf dem langen Weg, der in eine Notsituation hinein und wieder heraus führt.

«Der erste Schritt ist der schwerste», bestätigt eine junge Bäuerin, die selber bereits eine Depression durchlitten hat, diese alte Weisheit. Damit meint sie aber noch längst nicht die Hilfesuche, sondern: Akzeptieren und sich eingestehen, dass man ein Problem hat. «Erst dann kann ich daran arbeiten.» An diesem Punkt könnte eine solche Vorbildsperson viel bewirken. Die Gewissheit, dass es anderen gleich ergeht und sie einen Ausweg gefunden haben, ermutigt.

Anonymität hilft zu Beginn

Etwa dazu, zum Telefonhörer zu greifen, alles zu erzählen, sich die Sorgen von der Seele zu reden, auch  um selber wieder klarer zu sehen. Hier, sozusagen bei der ersten Hilfe, kann die beidseitige Anonymität viel auslösen. Oft aus einem Impuls oder der absoluten Not heraus, geht es darum, bedingungslos alles abladen zu können, ohne politische Korrektheit und Angst, etwas Falsches zu sagen. Endlich hört jemand einfach zu, ohne zu urteilen. Ueli Straub von Agridea und ehemaliger Geschäftsführer des bäuerlichen Sorgentelefons umschreibt das so: «Sind beide Gesprächspartner anonym, lässt das  einen ganz anderen Gesprächsraum entstehen, frei von Scham und auf Augenhöhe.» Auf der anderen Seite sind auch die Helfenden geschützt, wenn ihre Person nicht namentlich mit dem Hilfsangebot in Verbindung steht. Diese Distanz behält die Anfragen in einem klaren Rahmen und bewahrt so vor Überlastung.

Menschlichkeit ist gefragt

Als nächstes geht es darum, die Probleme aufzuarbeiten. Auf diesem mitunter langen Weg ist wiederum die persönliche Ebene entscheidend. Nur wer seinem Arzt, Therapeuten, Coach oder Mediator vertraut und sich gut aufgehoben fühlt, kann die Situation ergründen, Probleme aktiv angehen und schliesslich neuen Mut schöpfen. Hier könnten sogenannte «Anker-Männer» oder «-Frauen» ins Spiel kommen. Ein Beispiel ist Pierre-André Schütz in der Waadt, Bauernseelsorger und selber Landwirt. Seine Bekanntheit suggeriert automatisch Kompetenz und Erfahrung, da weiss man, wen man am Telefon hat. Ueli Straub sieht noch etwas: «Wertvoll sind solche Personen auch als Sprachrohr nach aussen, um auf die Nöte in der Landwirtschaft hinzuweisen.»

Warum aber gibt es nicht mehr Vertreter aus der Landwirtschaft, die hinstehen und sagen: «Eine Therapie tötet nicht», «Ich habe eine Depression durchlebt und bin immer noch Bauer/Bäuerin» oder «Hilfe holen ist eine Stärke, keine Schwäche»? Gesellschaftlicher und finanzieller Druck, agrarpolitische Kehrtwenden, mediale Breitseiten gegen die Landwirtschaft, das und noch viel mehr lasten auf den Schultern der Bauern. Und obendrein will man noch die glänzende Fassade bewahren. Schliesslich soll niemand mitbekommen, dass eben nicht nur heile Welt herrscht. Sich dann öffentlich zu positionieren und über Probleme zu sprechen, fällt niemandem leicht.

Darüber reden - sich und anderen helfen

Aber vielleicht, wenn einer den Anfang macht, würden andere nachziehen und so mithelfen, allmählich die Vorurteile und Berührungsängste abzubauen. Betroffene, die offen zu ihrer Erkrankung stehen, stellen beim Gegenüber nämlich oft Überforderung und Hilflosigkeit fest – man fühle sich zum Helfen verpflichtet, aber wisse nicht, wie. Noch öfter bringt man ihnen aber Respekt entgegen, für die Bewältigung der Probleme und den progressiven Umgang.

Diese Bestätigung wiederum gibt Kraft und Mut für den weiteren Weg. Es können also beide Seiten profitieren. Warum trotzdem nicht mehr Bauern und Bäuerinnen öffentlich über ihre Schicksale, Ängste und Nöte sprechen? Einerseits ist da die Chance, anderen helfen zu können. Oft grösser erscheint aber die Gefahr, verletzlich zu werden, dem Urteil anderer komplett ausgeliefert zu sein.           

Andrea Gysin