Damit ebenfalls verbunden ist die Möglichkeit, die AP 22+ zu verschieben und daraus die AP 24+ werden zu lassen. Zwar ist der Entscheid in der WAK-N mit 13 zu 12 Stimmen denkbar knapp ausgefallen. Aber der Bauernverband steht vorerst als Sieger da. Und klar ist auch schon jetzt, dass der Bundesrat über die Bücher muss.

Selbst wenn die Gesamtschau im Nationalrat doch nicht zurückgewiesen wird, stünden die Vorbereitungen für die Botschaft der AP 22+ unter einem denkbar schlechten Stern. Von einer Roten Karte für den Bundesrat und sein Vorgehen spricht deshalb CVP-Nationalrat Leo Müller. «In der jüngeren Geschichte ist das ein einmaliger Vorfall und ein unglaublicher Akt», sagt auch SVP-Nationalrat Toni Brunner im Gespräch. Und CVP-Nationalrat und Bauernverbandspräsident Markus Ritter spricht von einem «matchentscheidenden Entscheid». Alle drei sitzen in der WAK-N und weibelten bis zuletzt dafür, die Gesamtschau zurückzuweisen und die AP 22+ zu verschieben.

Dem Bundesrat entgleitet damit die Kontrolle über das Agrardossier. Und der Bauernverband erreicht mehr Einfluss auf den politischen Prozess der Ausgestaltung der Agrarpolitik. Dabei ist politisch klar, dass die Schweiz eine Landwirtschaft hat und behalten will. Es herrscht Konsens darüber, dass es eine Nahrungsmittelindustrie braucht. Und es herrscht Konsens darüber, dass man nicht so werden will, wie das Ausland – «Switzerland First», sozusagen.

Hätte man die Diskussion um das «Wie» nicht, in der Schweizer Landwirtschaft wäre alles in bester Ordnung. Die Realität ist eine andere: Um das «Wie» wird erbittert gestritten. Das fängt beim Grenzschutz an und hört bei der Trinkwasser-Initiative auf. Zuerst zum Grenzschutz: Oft wird gesagt, dass die Branche a priori gegen jedwede Veränderung bei den Zolltarifen und Importkontingenten ist.

Dabei ist das Gegenteil der Fall: «Wir sind nicht grundsätzlich gegen Freihandel», sagt SVP-Nationalrat Toni Brunner. «Aber wir wollen, dass es jeweils im gesamtwirtschaftlichen Interesse beurteilt wird.» Auch Kommissionskollege Leo Müller betont, dass Freihandelsabkommen «jeweils unabhängig von den Agrarpolitiken beurteilt werden müssen. Freihandelsabkommen sind einzelfallweise aufgrund der konkreten möglichen Auswirkungen zu beurteilen.» Eine situative Beurteilung schaffe nämlich mehr Verbindlichkeit, arbeite am tatsächlichen Handelsabkommen und ermögliche auch eine realpolitische Einschätzung.

Gleichwohl verrät es auch einen gewissen Unwillen, sich der grundsätzlichen Frage zu stellen, wie die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft in offeneren Märkten und der Welt bestehen will. Und diese Welt beginnt vor der eigenen Haustür. Denn mit der Trinkwasser-, der Ernährungssouveränitäts- und der Fair-Food-Initiative gibt es gleich drei Vorlagen, die um das «Wie» in der Schweizer Landwirtschaft mitreden wollen.

Für die Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen, ist vor allem die Trinkwasser-Initiative gefährlich; weil sie alles infrage stellt. Die Befürchtung, dass die drei Initiativen die AP 22+ über den Haufen werfen könnten, ist deshalb gerechtfertigt. Und eine Verschiebung zur AP 24+ ist unter diesen Vorzeichen nachvollziehbar. Allerdings wird mit dem Vorgehen wieder deutlich, was der SBV ist: einer der besten Verbände, um den Status quo zu halten. Derselbe Verband tut sich gleichzeitig enorm schwer damit, den Interpretationsspielraum des Gegenvorschlags zur Ernährungssicherheits-Initiative (Artikel 104a der Verfassung) zu füllen.

Die unterschiedlichen Ausgangslagen und Interessen der Bauern – und damit auch die unterschiedliche Beurteilung der AP 14-17 innerhalb der Landwirtschaft– stellt den SBV in der Folge bis heute vor ein substanzielles Problem: Er verliert Einfluss. Nicht politisch, aber inhaltlich. Und das macht den Verband und seine Positionen angreifbar. Die kurzfristige Frage ist nun, ob man die inhaltlichen Differenzen überwinden und eine Mehrheit für die Verschiebung der AP 22+ gewinnen kann. Langfristig jedoch stellt sich die Frage, wie der SBV die unterschiedlichen Interessen seiner Mitglieder ausgleichen und das inhaltliche Vakuum zur Zukunft der Schweizer Landwirtschaft füllen kann.

Hansjürg Jäger