Wie lange bleibt ein Kuhfladen auf Ihrer Weide liegen? Ohne oder bei sehr geringer Mistkäferaktivität sind es hierzulande etwa vier Monate, sagt Sally-Ann Spence. «Unter günstigen Bedingungen und mit einer guten Mistkäferpopulation ist ein Kothaufen aber innert weniger Tage zu 70 Prozent abgebaut.» Die Leistung dieses sechsbeinigen Putzkommandos geht indes weit über optisches Aufräumen hinaus, wie die britische Landwirtin und Insektenforscherin klarstellt. [IMG 2]
Bis zu 1,5 Meter tiefe Tunnel
Die Liste der positiven Wirkungen von Mistkäfern, die Sally-Ann Spence den Teilnehmenden eines Dungfauna-Workshops am Schluechthof in Cham (Zug) präsentiert, ist lang. Darunter ist auch Überraschendes, was die kleinen Insekten in Kothaufen auf der Weide vollbringen.
- Reduzierte Weideverschmutzung: «Der Dung soll möglichst rasch weg von der Fläche, damit sie zum Fressen oder Liegen frei wird», gibt Spence zu bedenken. Englische Landwirte würden ihre Weiden häufig mit der Egge überfahren, um die Kuhfladen zu verteilen, was aber zur Verdichtung des Bodens führen kann. Genügend Mistkäfer hingegen bauen den Haufen rasch ab, ohne den Boden zu belasten – im Gegenteil.
- Verbesserung der Bodendurchlüftung: Bei Mistkäfern unterscheidet man zwischen Arten, die ihre Eier in den Dunghaufen oder direkt darunter ablegen und solchen, die zu diesem Zweck Kammern oder Tunnel graben. «Einige Arten graben daumengrosse Löcher, die je nach Boden bis zu 1,5 Meter tief reichen», schildert die Insektenforscherin.
- Steigern der Biodiversität auf und im Boden: Was im Kuhfladen lebt, ist eine wichtige Nahrungsquelle, z. B. für Vögel und Fledermäuse oder auch Reptilien. Ausserdem sei die Regenwurmaktivität unter einem Dunghaufen mit Mistkäfern zehnmal höher, weil die Sechsbeiner das Material für die Würmer bekömmlicher machen. «Ein gesunder Fladen unterstützt 1000–2000 Insektenindividuen.»
- Umverteilung von Pilzen und Bakterien: Die erwähnten Tunnel verbinden die oberen und unteren Bodenschichten, was die Bodenfruchtbarkeit verbessert.
- Unterdrücken von Krankheitserregern wie E. coli: Weg von der Bodenoberfläche sind sie unschädlich gemacht.
- Reduzieren von Parasiten und Schädlingsfliegen: Zwar ernähren sich Mistkäfer von (frischem) Mist, sie tragen aber für andere Insekten gefährliche Milben auf ihrem Panzer. Diese Beziehung ist für beide vorteilhaft, denn die Milben befallen im Kuhfladen Fliegenlarven, Maden und Nematoden, was den Mistkäfern einige Konkurrenten aus dem Weg räumt.
- Weniger Treibhausgase: Der schnelle Abbau des Kuhfladens durch die Mistkäfer, die darin unterwegs sind, reduziert die Dauer der Methanproduktion. Das hemmt auch den Geruch. Der Haufen wird ausgetrocknet und zerfällt in Krümel, die sich mit der Hand zu Staub zerreiben lassen.
- Steigern die Fruchtbarkeit der Wiesen: Durch die Mistkäferaktivität steigt der Gehalt organischer Substanz im Boden, der auf diese Weise auch mehr Kohlenstoff speichert. Die Tunnel unter den Kuhfladen verbessern den Wasserhaushalt und unterstützen die Versickerung von Regenwasser.
- Verbessern die Wasserqualität: Statt abgeschwemmt zu werden, verschwinden die Misthaufen im Boden, samt Nährstoffen und allfälligen Pathogenen.
Von Tierart bis Exposition
Welche Mistkäfer in einem Dunghaufen aktiv sind, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab. Einerseits von der Herkunft des Kots – manche Arten sind z. B. auf Kuhfladen oder Schaf-Kügelchen spezialisiert oder schätzen Pferdeäpfel. Andererseits ist die Dungfauna abhängig vom Standort (Bodenart, Exposition des Haufens, Jahreszeit), Alter oder Qualität des Dungs. Das kann sich innerhalb derselben Parzelle unterscheiden. Vor allem aufgetürmte Haufen seien attraktiv, sagt Sally-Ann Spence.
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«Das ist für Mistkäfer wie ein Palast.» Darin sind sie vor Fressfeinden, hohen Temperaturen und Trockenheit geschützt. Der klassische Kuhfladen, der vor allem beim Milchvieh oft reichlich flüssig zu Boden klatscht, ist ein weniger guter Lebensraum. Früher habe es noch mehr Mist-Paläste gegeben, heute findet man sie am ehesten noch bei Mutterkühen oder alten Rassen.
Es braucht auch Spezialisten
Wenn Sally-Ann Spence über die Vielfalt der Mistkäfer spricht, ist ihre Begeisterung spürbar. Aber auch ihre Besorgnis und den Wunsch, etwas ins Rollen zu bringen, bevor es zu spät ist. Denn obwohl insbesondere auf der Nordhalbkugel nur wenig Daten zu Mistkäferbeständen verfügbar sind, so zeichnet sich doch ein fortschreitender Artenverlust ab. Wie bei anderen Insektengruppen trifft es insbesondere die Spezialisten. «Aber es braucht einen Mix aus Generalisten und spezialisierten Arten», sagt die Expertin. Das sorge für eine gute Zersetzung. Ihre sechsjährige Forschungsarbeit – «drei Monate davon wurden finanziell unterstützt» – ergaben, dass in Grossbritannien weniger als die Hälfte aller einheimischen Mistkäferarten auf guten Niveau sind. «Acht Prozent sind bereits ausgestorben und der Rest gefährdet oder auf dem Weg dazu.» [IMG 3]
Erfolgreich auf Mistkäfersuche
In einem frischen Kuhfladen oder den Hinterlassenschaften anderer Nutztiere leben verschiedene Insekten. Als erstes fallen die umgangssprachlich als «Wasserkäfer» bezeichneten Sechsbeiner auf, da sie bei einer Störung rasch das Weite suchen. Sie sind rund, klein, haben einen glänzenden Panzer und werden in der Regel nicht zu den «echten» Mistkäfer gezählt, da sie sich nur als Adulte vom Haufen ernähren. Die Larven leben räuberisch. [IMG 6]
Die besonders wünschenswerten Mistkäfer stellen sich tot, wenn man sie im Haufen entdeckt. Oder sie graben sich im Eiltempo nach unten in die Erde. In der Hand des Finders versuchen sie aber schnell und mit erstaunlicher Kraft, sich zwischen den Fingern nach unten zu graben.
Sally-Ann Spence unterscheidet bei den Mistkäfern drei Hauptformen:
Onthophagus: Klein, matt und ähneln einem ägyptischen Skarabäus. Diese Käfer graben tiefe Tunnel in den Wiesenboden unter dem Misthaufen.
Geotrupidae: Mit glänzender Bauchseite, mittelgross (etwa 8–26 mm), graben ebenfalls Tunnel. Viele Arten schimmern in verschiedenen Farben (bläulich, violett, grünlich, rötlich).
Aphodiinae: C-förmige Larven im Dung, die sich dort oder auf der Bodenoberfläche darunter verpuppen. Adulte in unterschiedlichen Farben und Grössen, längliche Körperform.
Bei der Suche nach Mistkäfern kann man Dunghaufen auf der Weide von Hand auseinandernehmen, wobei es ratsam ist, den Haufen in ein flaches Becken zu heben. So können sich davonlaufende Insekten weniger verkriechen. Das Becken kann man auch mit Wasser fluten, um Käfer aus ihren Verstecken zu schwemmen.
Alternativ gibt es die Möglichkeit, mit Fallen zu arbeiten. Dazu einen Kessel mit etwas Erde und Stroh in der Weide vergraben, darauf auf einem Gitter einen Kuhfladen platzieren. Die Mistkäfer arbeiten sich durch den Köder und fallen in den Kessel. Am besten sollte die Falle nach 1–2 Tagen kontrolliert werden, sonst besteht die Gefahr, dass allfällige Mistkäfer bereits von räuberischen Insekten verspeist worden sind.
Funde zur weiteren Betrachtung oder Dokumentation in ein durchsichtiges Schraubglas mit etwas Haushaltspapier geben, das reinigt die Käfer und ermöglicht die Sicht auf Ober- und Unterseite. Luftlöcher im Deckel verhindern, dass die Insekten bei längerem Aufenthalt ersticken.
Auch bei der Dungfauna gilt es die Biosicherheit zu beachten: Keine Mistkäfer zwischen den Betrieben austauschen, um die Übertragung von Krankheiten oder Parasiten in die andere Fauna zu verhindern. Beim Untersuchen betriebsfremder Misthaufen mit Handschuhen arbeiten.
Die Schweizer Tierärztin Angela Gimmel hat sich eingehend mit den heimischen Mistkäfern befasst. Sie arbeitet, wie sie sagt, «an der Schnittstelle zwischen Veterinärmedizin, Tierernährung und Natur- sowie Umweltschutz» und bietet unter anderem Dungkäfer-Erhebungen an. Auf ihrer Website findet man ausserdem diverse Infos über diese Nützlinge.
Website von Sally-Ann Spence
Website von Angela Gimmel
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Da diese Nützlinge generell nur in Haufen auf Weiden und nicht in Miststöcken oder Laufhöfen überleben, ist eine Tendenz zur Stallhaltung für sie problematisch. Spence schildert, wie nach einem massiver Rückgang der Vogelpopulation die britische Regierung von Beiträgen für die Haltung von Rindern in Ställen während der Hälfte des Jahres abgekommen sei. Dadurch habe die reiche Dungflora auf der Weide als Nahrungsquelle für Vögel gefehlt, so ihre Erklärung.
Ideal wäre aus Mistkäfersicht, wenn Nutztiere ganzjährig draussen wären. Gerade in kontinentalem Klima wie in der Schweiz sind dem in der Praxis allerdings Grenzen gesetzt. «Es gibt nicht mehr so viele winteraktive Mistkäferarten», bemerkt Spence. «Aber die Käfer werden durch die milden Winter immer früher aktiv und leiden dann Hunger.»
Wildtiere können diese Lücke bis zu einem gewissen Grad füllen. So überleben Mistkäfer bis zum Alpaufzug z. B. bis in grosser Höhen in Steinbockkot oder den Hinterlassenschaften von Rehen und Gämsen. Sogar «vergessener» Hundekot in der Stadt Genf kann eine notdürftige Unterkunft sein, wie der Schweizer Insektenforscher Vivien Cosandey berichtet. «Mistkäfer leben generell nur im Dung von Pflanzen- oder Allesfressern», so Cosandey. Der Kot von Raubtieren ähnle in seiner Zusammensetzung eher Aas und sei daher für diese Arten ungeeignet.
Sechsmal mehr Käse
Die Mistkäfervielfalt in der Schweiz sei – soweit bekannt – gross. «Aber nicht riesig», ergänzt Vivien Cosandey. Immerhin gebe es hierzulande sechsmal weniger Mistkäferarten als Käsesorten. Dafür sind die nützlichen Käfer praktisch überall in der Schweiz zu finden, «sie sind nur auf die Anwesenheit grosser Säugetiere angewiesen.»
Die wichtigste Grundlage für Mistkäfer sind weidende Tiere, hält Sally-Ann Spence fest. Es gelte aber, bei ihnen Antiparasitika zurückhaltend einzusetzen (siehe Kasten).
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Mistkäfer fördern – Vorsicht mit Antiparasitika
Mit der in der Schweiz verbreiteten Tierhaltung und viel Weidegang ist bereits eine wesentliche Voraussetzung für den Erhalt von Mistkäfern gegeben. Ideal wäre eine ganzjährige Beweidung für eine kontinuierliche Nahrungsgrundlage.
Zusätzlich fördert die Vielfalt von Weidetieren (z. B. Kuhweiden ab und zu mit Schafen bestossen) die Vielfalt der Mistkäfer. Grosse bzw. vernetzte Weideflächen ermöglichen den genetischen Austausch zwischen verschiedenen Käferpopulationen. [IMG 5]
Ein wichtiger Punkt ist der Einsatz von Entwurmungsmitteln und Pour-on-Mitteln. Die Forschung zeige, dass diese Behandlungen starke negative Effekte auf die Dungfauna haben, sagt Sally-Ann Spence. Rückstände blieben jahrelang in der Umwelt. Aktuell untersuche sie, wie sich diese Stoffe in der Nahrungskette verhalten. «Im Moment sieht es nicht gut aus. Wir haben da ein grosses Problem.»
Als Landwirtin und starke Befürworterin der Tierhaltung empfiehlt Sally-Ann Spence nicht den vollständigen Verzicht auf die Behandlung mit Antiparasitika. Es gelte aber, «die richtigen Tiere für die jeweilige Region zu finden.» Durch angepasste Rassen sinke der Behandlungs-Bedarf, da sie weniger anfällig sind. Allerdings handelt es sich dabei nicht immer um die wirtschaftlichsten Rassen, ist sich Spence bewusst. Wichtig sei in jedem Fall, nur gezielt – das heisst anhand von Kotproben – Antiparasitika einzusetzen und wenn möglich weniger toxische und langlebige Wirkstoffe zu wählen. «So etwas wie ‹keine Parasiten› gibt es nicht», ergänzt sie. Gesunde und robuste Tiere könnten aber mit dem natürlichen Parasitendruck umgehen. Ein guten Weidemanagement senkt diesen zusätzlich. Pflanzen wie Chicoree, Esparsette, Wegerich, Hornklee oder auch die Blätter von Weide und Walnuss enthalten Gerbstoffe, die von innen antiparasitisch wirken.
Der Zuger Landwirt Ueli Dönni, auf dessen Mutterkuh-Weide die Kursteilnehmenden auf Mistkäfersuche gingen, bestätigte die Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung einer chemiereduzierten Entwurmung. Er unterstützt seine Kühe unter anderem mit einer Futterhecke, die ihnen Mineral- und Gerbstoffe liefert.
Wenn der Kuhfladen 10 Jahre liegen bleibt
Die Bedeutung von Mistkäfern für das landwirtschaftliche Ökosystem zeigt der Fall Australien eindrücklich.
Die dortige Tierwelt ist von Beuteltieren wie Koalas oder Kängurus geprägt. «Die australischen Mistkäfer haben sich an diese Tiere angepasst», schildert Sally-Ann Spence. Die Hinterlassenschaften von Koala und Co. seien trocken, fest und faserreich. Mit dem Dung von Rindvieh und Schafen, die später nach Australien kamen, konnten die einheimischen Insekten nichts anfangen. «Es kam zu einer starken Verschmutzung der Weiden», so Spence. Schadfliegen konnten sich in grosser Zahl in den Kuhfladen vermehren, Nährstoffe wurden vom Regen in Gewässer geschwemmt. Bis zu 10 Jahre habe es gedauert, bis ein Kuhfladen endlich verschwunden war – «mit massiven Folgen. Es funktionierte einfach nicht.»
In den 1960er-Jahren nahm in Australien ein Projekt Fahrt auf, das dem Problem mit der Zucht und Freisetzung passender Mistkäfer Herr werden sollte. Dafür sammelte man Mistkäfereier in Afrika, von wo das Rindvieh ursprünglich stammt. Von über 100 Arten, die so nach Australien kamen, liess sich aber nur rund die Hälfte züchten. Und auch nach der Freisetzung afrikanischer Mistkäfer ist das australische Dungproblem nicht gelöst.
Jedes Jahr Mistkäfer kaufen
Laut Sally-Ann Spence können sich die Insekten wegen der dortigen Böden und des Klimas nicht dauerhaft etablieren, weshalb die Landwirt(innen) in Australien gezwungen seien, jedes Jahr neue Mistkäfer zu bestellen und freizusetzen. «Sie müssen die Insekten kaufen – ihr habt sie gratis», gab die Expertin zu bedenken und plädierte dafür, das Möglichste zu tun, um die einheimische Schweizer Dungfauna zu erhalten.