BauernZeitung: Grace Schatz, Sie betreiben unter der Marke Regioherz einen Hofladen an bester Lage in der Stadt St. Gallen. Wie muss ich mir das vorstellen?

Grace Schatz: Bei uns kriegt man alles, was man in einem Hofladen auf dem Land auch kaufen könnte sowie eine Vielzahl von Spezialitäten. Aber alles aus der Region und von lokalen Produzenten und Kleinbetrieben hergestellt.

Was ist Ihr speziellstes Produkt?

Es gibt mehrere Produkte, die sehr innovativ sind. Zum Beispiel Dinkel-Pralinen oder Trüffes aus Ziegenmolke. Spannend finde ich den Schweizer Edelzucker aus Horn. Das Unternehmen stellt einen Zucker aus regionalem Mais her, den auch Diabetiker geniessen können.

Was ist der Erfolg Ihres Ladens?

Ich bringe der Kundschaft den Hofladen in die Stadt. Manchen fehlt schlicht die Zeit, verschiedene Betriebe abzufahren, aber trotzdem möchten sie nicht auf Hofprodukte verzichten. Bei mir finden man alles vor der Haustüre und an einem Ort. Regionalität ist für mich die nachhaltigste Art von Konsum überhaupt.

«Regionalität ist für mich die nachhaltigste Art von Konsum überhaupt.»

Regionalität bedeutet auch Saisonalität. Das ist ein weiterer Pluspunkt. Obwohl, damit taten sich die Kund(innen) zu Beginn etwas schwer. Sie konnten nicht begreifen, dass ein Produkt nicht immer verfügbar ist.

Das Konzept von Regioherz

Bäuerinnen, Bauern und Kleinproduzent(innen) aus der Region können im Laden ein oder mehrere Regale von 80 Zentimetern Länge mieten. So ein Regal kostet 50 Franken pro Monat oder zwei Franken pro Tag. 20 Prozent des Umsatzes gehen an Regioherz. Als Gegenleistung macht Regio­herz das Marketing und den Verkauf. Ende Monat wird abgerechnet und das Geld überwiesen.

Weitere Informationen: regioherz.ch

Was sind die Vorteile aus Produzentensicht?

Als Produzent(in) kann ich selber entscheiden, welche Produkte ich im Regioherz verkaufen will. Das nimmt den Druck, alles jederzeit produzieren zu müssen. Die Gestelle sind wie kleine Shop-in-Shops, also sehr individuell. Auf einem Täfelchen, mit Bild und Text versehen, können sich die Produzenten der Kundschaft zeigen, obwohl sie nicht selber vor Ort sind.

Das Geniale für mich ist, ich brauche nicht viel Lagerplatz. Ausserdem kann ich enorm vom Know-how der Produzentinnen profitieren. Gerade zu Beginn, so ganz ohne Vorwissen, war das unbezahlbar für mich. Als Jungunternehmerin mag ich solche Win-Win-Situationen.

Wie viele Produzentinnen und Produzenten sind bei Ihnen im Laden vertreten?

Ich habe mit 40 bis 50 gestartet. Unterdessen verkaufe ich Produkte von 155 Anbietern auf drei Stockwerken verteilt. Ich stoppe gerade den Verkauf von Non-Food-Artikeln, wie Seife oder Genähtem aus Edelweiss-Stoff. Das mach Platz für weiter Produzentinnen.

Wie finden Sie Ihre Produzentinnen und Produzenten?

Zu Beginn klapperte ich die Höfe einzeln ab. Die Leute waren sehr zurückhaltend, ich konnte ja nichts zeigen ausser mein Konzept. Doch ich konnte die Produzenten von meiner Idee derDirektvermarktung überzeugen. Unterdessen habe ich eine Warteliste von Interessierten.

Planen Sie deshalb eineExpansion nach Winterthur? Können Sie uns Näheres darüber erzählen?

Ich habe viele Anfragen aus der Region Zürich und Aargau. Das passt nicht nach St. Gallen, aber nach Winterthur. Da die Abläufe definiert sind und das Kassensystem läuft, spricht nichts gegen einen zweiten Laden. Ab Januar schaue ich mich in Winterthur nach einem geeigneten Verkaufslokal um.

Sie eröffneten den Laden inmitten der Corona-Pandemie. War das ein Vor- oder Nachteil?

Ohne die Pandemie gäbe es das Regioherz gar nicht. Für mich war Corona eine Chance.

Ohne die Pandemie gäbe es das Regioherz gar nicht. Für mich war Corona eine Chance.

Das müssen Sie uns erklären.

Ich arbeitete als Lehrerin im Homeoffice. Das machte mir überhaupt keinen Spass. Ich vermisste den direkten Kontakt mit den Lernenden.

Da ich selber ein Fan von Hofprodukten bin, kenne ich viele Produzenten. Ich dachte mir, dass ich den Bäuerinnen und den Kleinproduzenten ohne eigenes Geschäft und ohne die Möglichkeit an den Mark zu fahren, eine Verkaufsplattform bieten könnte. Andererseits erzählte mir meine Tante aus der Stadt, dass sie sich wegen Covid nicht in die grossen Einkaufsläden wage und gerne in einem Hofladen einkaufen würde. Da merkte ich, den Hofladen braucht es in der Stadt.

Die Idee bereitete mir schlaflose Nächte. Zwei Wochen später stellte ich ein Gesuch für zwei Jahre unbezahlten Urlaub. Seit Sommer 2020 gebe ich Vollgas mit dem Regioherz.

Was war die grösste Herausforderung bei der Firmengründung? Was würden Sie anders machen?

Ich mache das als One-Woman-Show. Seit einem Jahr gab es keinen Tag mehr ohne Regioherz. Es ist ein 24-Stunden-7-Tage-die-Woche-Job.

«Regioherz ist seit einem Jahr mein 24-Stunden-7-Tage-die-Woche-Job.»

Das erinnert irgendwie an einen Bauernhof.

Das hat etwas, aber einen Hof führt man als Familie. Ich würde das Projekt nicht mehr alleine durchziehen, sondern mit jemandem zusammen. Jemand, der das gleiche Verständnis von Regionalität hat wie ich.

Zum Glück gab mir mein Vater das Motto «es gibt kein Problem, das nicht aus der Welt geschafft werden kann» mit auf den Weg. Ich muss jedoch sagen, es haben mir viele Menschen geholfen, und es kam sehr viel Gutes zurück.

Bereuten Sie es je, Ihren Beruf als Lehrerin aufgegeben zu haben?

Nein. Obwohl ich gerne als Lehrerin arbeitete und ich nicht ausschliesse, dass ich es wieder einmal tun werde.

Am 20. November feiern Sie mit Regioherz einjähriges Jubiläum. Wie ist Ihr Fazit?

Ich bin überrascht, dass es ein so grosser Erfolg wurde. Denn ich habe für Regioherz meinen guten Job an den Nagel gehängt. Finanziell läuft es nicht schlecht, die Buchhaltung stimmt. Ich kann die laufenden Kosten und die Löhne meiner beiden Angestellten bezahlen.

Am 20. November will ich zusammen mit meinen Produzent(innen) feiern. Es soll ein genossenschaftliches Fest werden, wo jeder etwas beisteuern darf. Ein grosser Tag der offenen Tür.

Zur Person

Grace Schatz (43) war Gymnasiallehrerin und eröffnete letzten November ihr erstes Lebensmittelgeschäft mit Regionalprodukten aus dem Raum St. Gallen, Appenzell und Thurgau in der Stadt St. Gallen. Sie plant eine Expansion in die Stadt Winterthur. Am Business-Day der Olma durfte sie von ihren Erfahrungen als Jungunternehmerin berichten.