Unbestritten scheint, dass Kälber, die nach dem von der Vetsuisse entwickelten Konzept des Freiluftkalbs gehalten werden, gesünder sind. Die Rede ist von einem um 80 Prozent geringeren Antibiotikaverbrauch im Vergleich zur traditionellen IP-Suisse-Kälbermast und einer Halbierung der Kälbersterblichkeit. Im März 2021 hiess es ausserdem, das Konzept bringe keine wirtschaftlichen Einbussen. Diese Aussage wird nun in einem Beitrag in «Agrarforschung Schweiz» revidiert.

Diverse Kostenfaktoren miteinbezogen

Für ihre Analyse der Wirtschaftlichkeit haben Forschende der Agridea Daten vom Herbst 2016 bis Sommer 2018 von 38 Kälbermastbetrieben ausgewertet. Je die Hälfte davon hielt Freiluftkälber, die andere arbeitete nach den Richtlinien von IP-Suisse. Auf dieser Basis kamen auch die oben genannten Resultate zur verbesserten Tiergesundheit zustande.

Um Aussagen über die Wirtschaftlichkeit des Konzepts Freiluftkalb machen zu können, arbeitete Agridea mit einem erweiterten Deckungsbeitrag. Dabei handelt es sich um eine Modellrechnung für die Differenz zwischen Leistung (Ertrag) und den Einzelkosten eines Produktionszweigs. Berücksichtigt wurden in diesem Fall auch Maschinen, Bauten, Einrichtungen, Arbeit und Beiträge.

Stallbaukosten anders berechnet

Beim "Freiluftkalb" leben die Tiere zuerst in Einzeliglus und nach der Quarantäne in Gruppen mit überdachtem Auslauf. (Bild Ueli Häcki)KälbermastDas «Freiluftkalb» lebt gesundFreitag, 12. April 2019 Laut Agridea fehlten einige betriebswirtschaftliche Grunddaten, weshalb man für die Berechnung der Vergleichszahlen diverse Annahmen getroffen bzw. statistische Werte herangezogen habe. Im Gegensatz zur Erstveröffentlichung wurden bei dieser neuerlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung die Stallbaukosten anders berechnet. Statt wie 2021 die Kosten aufgrund der GVE-Anteile auf die Kälbermastplätze hochzurechnen, orientierte man sich am Flächenbedarf für Mastkälber (in m2 Stallfläche). Das ergebe eine realistischere Hochrechnung, schreiben die Studienautoren.

Wirtschaftlichkeit ist nicht gegeben

Mit der neuen Berechnungsweise der Stallbaukosten fällt das Fazit der Studie anders aus: Das Konzept Freiluftkalb sei weniger wirtschaftlich als die traditionelle IP-Suisse-Kälbermast, so die Schlussfolgerung. Die tieferen Remontierungs- und Gesundheitskosten sowie reduzierte Tierverluste würden durch deutlich höhere Arbeitskosten und eine reduzierte Leistung mehr als aufgewogen. Auch beim Deckungsbeitrags pro Arbeitseinsatz fiel der Vergleich zu Ungunsten des Freiluftkalbs aus. Nicht zuletzt würden Massnahmen, die Investitionen in Maschinenpark und Ökonomiebauten verlangen bzw. den Arbeitsaufwand vergrössern, selbst ohne mittel- bis langfristige wirtschaftliche Nachteile auf Widerstand stossen.

Diese Resultate sind relevant

«Um ein ganz klares Ergebnis für den Wirtschaftlichkeitsvergleich der beiden Mastkonzepte zu erhalten, müsste wohl der Praxisversuch wiederholt werden», halten die Studienautoren fest. Dies, weil Preis- und Kostenzahlen im Nachhinein wegen fehlender Daten rekonstruiert werden mussten. Bis dahin hält Agridea die Resultate der vorliegenden Arbeit für relevant, da die betriebswirtschaftlichen Fakten «recht genau und detailliert» hätten rekonstruiert werden können und für Betriebsstrukturen sowie Arbeitsaufwände realistische Annahmen getroffen worden seien.

«Das Konzept Freiluftkalb dürfte deshalb in der Praxis nur dann eine Chance haben, wenn es durch wirtschaftliche Anreize oder mithilfe von gesetzlichen Geboten durchgesetzt wird», heisst es abschliessend.

Die vollständige Studie finden Sie hier.

 

So leben Freiluftkälber
Im Wesentlichen sieht das Konzept Freiluftkalb Folgendes vor:
Mastremonten werden direkt von benachbarten Produzent(innen) gekauft.
Die Tiere werden selbst auf den Mastbetrieb transportiert.
Dort werden sie zuerst geimpft.
Dann mindestens drei Wochen in Einzeliglus in Quarantäne gehalten.
Und anschliessend in Mastgruppen zu maximal 10 Tieren in Freiluftställen mit überdachtem Auslauf und Gruppeniglu ausgemästet zu werden.