Ist es für Kinder ein Problem, wenn Eltern zwei unterschiedliche Erziehungsstile haben?

Madlaina Bezzola: Dass sich die Eltern nicht immer einig sind, ist normal. Als Mutter oder Vater muss man jeden Tag unzählige Entscheidungen treffen. Und wie wir entscheiden, hängt mit unseren Werten und unserer Prägung zusammen. Kinder lernen früh, dass beispielsweise bei den Grosseltern andere Regeln gelten als zu Hause und nochmals andere im Kindergarten. Damit können die Kinder meistens gut umgehen. Natürlich kann es zu einem Problem werden, wenn zwischen den Eltern grosse Spannungen und Konflikte entstehen. Das spüren die Kinder.

Für die Kinder kann es eine Chance sein, dass sie unterschiedliche Welten kennenlernen.

Für Madlaina Bezzola sind zwei unterschiedliche Erziehungsstile nicht per se ein Problem

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Gibt es Kombinationen von unterschiedlichen Erziehungsstilen, die zum Problem werden können, zum Beispiel, wenn der Vater sehr autoritär erziehen will, die Mutter aber eher für Laissez-faire ist oder sehr auf das Kind einzugehen versucht?

Eltern haben nicht einen Erziehungsstil, den sie konsequent durchziehen. Natürlich kann es schwierig werden, wenn die Eltern sehr unterschiedliche Werte vertreten. Wenn diese Werte sehr unterschiedlich sind, kann es zwischen dem Paar zu Konflikten kommen. Oft entbrennen Konflikte im Alltag an einfachen Fragen wie dem Aufräumen, beim Essen, bei Fragen rund ums Thema Schlafen oder bei den Hausaufgaben usw.   

Was empfehlen Sie in dieser Situation?

Zur Person: Madlaina Bezzola

Die Psychologin ist als Eltern- und Familienbildnerin bei der Geschäftsstelle Elternbildung des Amts für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich tätig. Sie hat zwei Söhne im Alter von vier und sieben Jahren.

Wichtig ist, dass die Paare sich über ihre Werte und Vorstellungen in der Erziehung austauschen. Diese Gespräche sollte man nicht führen, wenn die Situation angespannt ist und die Wut im Bauch brodelt. In diesen Momenten passiert es häufig, dass man sich gegenseitig Vorwürfe macht und Dinge sagt, die man im Nachhinein bereut. Besser ist, man setzt sich in einem ruhigen Moment zusammen und tauscht aus, was einem wichtig ist und was man sich vom Gegenüber wünscht. Wir empfehlen auch, dass man Verantwortlichkeiten klärt. Das heisst, wenn Papa an einem Tag zu Hause ist und zu den Kindern schaut, hat er die Verantwortung und die Mutter soll sich zurückhalten. Für die Kinder kann es eine Chance sein, dass sie unterschiedliche Welten kennenlernen. Getreu dem afrikanischen Sprichwort: «Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu er­ziehen». 

Was ist, wenn Kinder es ausnutzen oder Schlupflöcher suchen, weil sie wissen, dass es beim Papa Süssigkeiten gibt und bei der Mama nicht?

Kinder testen aus, was möglich ist. Das ist auch nicht zwingend schlimm. Man könnte es auch so sehen, dass Kinder eine gewisse Kompetenz im Umgang mit verschiedenen Menschen zeigen. Wenn man als Eltern bemerkt, dass die Kinder solche Verhaltensweisen zeigen und man das wirklich störend findet, ist es wichtig, dass die Eltern gemeinsam Regeln und Grenzen definieren. So kann man beispielsweise sagen: «Moment mal, das entscheide ich jetzt noch nicht, ich will das erst mit Papa absprechen.» So lernt das Kind, dass die Eltern zusammenhalten und eine Einheit sind.

Was ist aus Ihrer Sicht der «ideale» Erziehungsstil, den Sie empfehlen würden?

Wir empfehlen, dass die Eltern sich am anleitenden Erziehungsstil orientieren. Bei dieser Haltung möchte man das Kind in seiner Persönlichkeit wahrnehmen, das Kind fördern, aber auch fordern. Im Zentrum steht die tragfähige und starke Beziehung zwischen Eltern und Kind. Dem Kind werden einerseits klare Grenzen aufgezeigt und andererseits darf es auch mitentscheiden in Belangen, die das Kind betreffen und in denen es Sinn macht. So kann man ein Kleinkind beispielsweise fragen, «willst du heute die rote oder die blaue Hose anziehen?». Uns ist aber auch wichtig, zu sagen, dass Kindererziehen eine anspruchsvolle Aufgabe ist. Niemand ist perfekt und wir alle machen Fehler, lernen aus unseren Fehlern, nehmen uns gewisse Dinge vor, setzen diese um oder fallen wieder in alte Muster.

Ab wann empfehlen Sie Eltern professionelle Hilfe oder eine Beratung?

Ein Blick von aussen kann in vielen Situationen helfen. Wenn die Spannung zu gross wird oder man das Gefühl hat, in einer Sackgasse zu stecken, lohnt es sich, professionelle Hilfe aufzusuchen. Grundsätzlich kann es fast nicht zu früh sein. Und natürlich ist auch der Austausch wertvoll, zum Beispiel mit anderen Eltern. Zu merken, dass man nicht allein ist und ganz viele andere auch vor den gleichen Herausforderungen stehen, kann helfen. Familienalltag ist nun einmal farbig, turbulent und anstrengend.

Folgende Artikel empfiehlt Madlaina Bezzola zum Thema

Von autoritär bis laisser-faire: Erziehungsstile mit Erziehungsberater Mischa Frei – fürs Leben gut – AJB Zürich (fuerslebengut.ch) 

Aber Papa hat's erlaubt! – fürs Leben gut – AJB Zürich (fuerslebengut.ch) 

https://www.wireltern.ch/artikel/erziehen-wie-die-eigenen-eltern-0121 

Ist Streit beim Erziehen gut? — www.wireltern.ch