Mit entspannter Selbstverständlichkeit räumen Ruedi Niederberger und Sohn Sylvan nach dem Mittagessen die Küche auf. Die beiden haben sichtlich Routine. Währenddessen üben Karin Niederberger-Schwitter und Walter Lippuner am langen Esstisch daneben ihr Lied für das Eidgenössische Jodlerfest: «Der hüslich Friede u viel Liebi, das chasch ned chaufe mit viel Gäld», heisst es unter anderem im Text von «Gedanke uf em Grat» von Ueli Moor.

Eigenen Weg gefunden

Die Familie ist Karin Niederberger wichtig, was für sie aber nicht heisst, in alten Rollenbildern zu verharren. «Gleichberechtigung? Das muss man schon in der Familie leben», sagt die 52-Jährige beim Kaffee in der Wohnküche des Familienhauses in Malix GR. «Das war auch bei uns ein Prozess.» Das Paar fand seinen eigenen Weg.

Fünf Fragen an Karin Niederberger

Worüber können Sie so richtig lachen?

Über mich selbst.

Was hindert Sie manchmal am Einschlafen?

Wenn eine Situation blockiert ist, wenn man Probleme nicht gemeinsam lösen kann.

Welches Alltagsritual gehört für Sie dazu?

Der Kaffee am Morgen!

Was ist Ihnen in einer Beziehung wichtig?

Dass man einander Sorge trägt, dass man achtsam mit der Beziehung umgeht.

Wohin möchten Sie einmal reisen?

Nach Kanada in die Provinz British Columbia

Viele Jahre hat Karin Niederberger sich vor allem um den Haushalt und die sechs Kinder gekümmert, die heute zwischen 33 und 16 Jahre alt sind. Ihr Mann Ruedi betreibt in Churwalden GR einen Landmaschinenhandel. Doch sie war immer ehrenamtlich engagiert, etwa im Älpler- oder im Theaterverein, oder im Jodelclub Hochwang in Haldenstein GR, in dem sie Dirigentin ist. «Das passte, ich wollte flexibel bleiben und für unsere sechs Kinder da sein.»

Rund 26'000 Mitglieder

«Beim Singen bekommt man etwas zurück.»

Karin Niederberger über ihre Freude am Singen und Jodeln.

Seit 14 Jahren amtet Karin Niederberger aber vor allem als Präsidentin des Eidgenössischen Jodlerverbandes mit rund 26'000 Mitgliedern. Obwohl sich 2009 niemand anderes für das Amt zur Verfügung gestellt hatte, gab ihre Wahl zu unken: Eine Frau! Eine sechsfache Mutter! Eine Bündnerin, wo doch eigentlich Appenzell, Berner Oberland, Toggenburg und Zentralschweiz die Jodel-Hochburgen sind! «Ich habe viel gearbeitet, um mich zu beweisen.»

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Im Dorf engagiert

Das grösstenteils ehrenamtliche Amt entsprach phasenweise einem 60-Prozent-Pensum. Inzwischen hat der Verband neue Strukturen und ein professionelles Sekretariat. Dazu kommt, dass Sylvan, ihr Jüngster, diesen Sommer die Schule beendet.

Karin Niederberger hatte wieder Kapazitäten – und stellte sich mit Erfolg einer nächsten Wahl. Seit anderthalb Jahren arbeitet sie für die Gemeinde Churwalden, zu der auch Malix und Parpan gehören, mit einem 70 Prozent-Pensum als parteilose Gemeindepräsidentin. «Ich war mal in der FDP. Das stimmte für mich nicht mehr.» Nach einer Weiterbildung betreut sie zudem als Coach Klientinnen und Klienten im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung.

«Das muss man schon in der Familie leben.»

Karin Niederberger über Gleichberechtigung.

Aufgewachsen ist Karin Niederberger auf einem Landwirtschaftsbetrieb in Malix. Der Hof gehörte ihrer Grossmutter und ging an ihre Mutter über. Inzwischen gibt es ihn nicht mehr, doch das Maiensäss Oberberg blieb der Familie erhalten: Ein Holzhaus ohne Strom und fliessend Wasser, rund 20 Minuten Fahrzeit oberhalb von Malix.

Ein Ort, der erdet

«Dort bin ich noch heute gern», sagt Karin Niederberger. «Schon als Kind habe ich dort oft gespielt und beim Heuen geholfen.» Und immer, wenn sie mit der Grossmutter, der Nona, Geschirr abwusch, jodelten sie zusammen.

Sie lernte an der landwirtschaftlichen Schule Plantahof das Alpkäsen und arbeitete elf Sommer bei einer Alp-Genossenschaft. «Ich jodelte am Käsekessel und abends draussen auf der Alp. Jodeln gibt einen guten Boden für die Seele.» Die Freude am Jodeln vermittelte sie auch ihren Kindern: Als sie jünger waren, trat sie mit ihnen in wechselnder Formation als «Familienchörli Niederberger» auf. «Doch irgendwann hatten alle andere Interessen.»

Eidgenössisches Jodlerfest: Im Juni in Zug

Das eidgenössische Jodlerfest mit den drei Sparten Jodeln, Alphorn- und Büchelblasen sowie Fahnenschwingen findet alle drei Jahre statt, diesmal vom 16. bis zum 18. Juni in Zug. Erwartet werden rund 10 000 aktive Jodlerinnen und Jodler, Fahnenschwinger und Alphornbläser(innen). Bei gutem Wetter rechnet das Organisationskomitee mit mehr als 150 000 Besucherinnen und Besuchern.

Weitere Informationen

«Musik muss im Herzen ankommen»

Ob bei der Gartenarbeit oder im Jodelclub: Ein Leben ohne Jodeln kann sich Karin Niederberger nicht vorstellen. Doch sie hört dazwischen zum Ausgleich gern andere Musik. «Fast alles, solange es nicht zu laut ist. Die Musik muss im Herzen ankommen.»

Die Mittagspause ist vorüber, Ruedi Niederberger verabschiedet sich für die Arbeit. Walter Lippuner greift nochmals zur Handorgel für eine zweite Übungsrunde. «Mues mengisch strengi Gsichter gugge, si trage ds’Härz voll Dunkelheit», singt Karin Niederberger. «All dene Lüt chas o mal lugge, we si au gseh wi schöe sis hei. Drum machet d’Härze uf u wyt! Hie ufem Grat chan ich es hüt.»