Im Vorfeld der beiden Pflanzenschutz-Abstimmungen vom 13. Juni kam es deutlich herüber: Die Bauern und Bäuerinnen tragen in den Augen der Bevölkerung die Hauptverantwortung für die Belastung der Umwelt durch Pflanzenschutzmittel (PSM). Seitens der Landwirtschaft wurde oft geltend gemacht, die Landwirtschaft sei nicht in erster Instanz dafür verantwortlich zu machen. Denn: Betriebe, die bewilligte Mittel in einer bewilligten Menge einsetzen, tun nichts Verbotenes. Doch trotz deutlicher Ablehnung der beiden Pflanzenschutz-Initiativen durch das Volk ist klar: Der Einsatz von PSM muss runter und mit ihm auch jener der Nährstoffe. Damit rückt die Frage in den Vordergrund, warum nicht mehr Labelprodukte wie Bio oder IP-Suisse abgesetzt werden können, die genau zu diesen Zielen beitragen.

Zielwerte gesetzt

Das Parlament hat mit der Schlussabstimmung vom 19. März 2021 entschieden, dass die Stickstoff- und die Phosphorverluste der Landwirtschaft bis 2030 im Vergleich zum Mittelwert der Jahre 2014–2016 angemessen reduziert werden (neuer Artikel 6a im Landwirtschaftsgesetz). Die Risiken durch Pflanzenschutzmittel im Bereich Oberflächengewässer und naturnaher Lebensräume sollen um 50 % bis 2027 im Vergleich zum Mittelwert der Jahre 2012–15 gesenkt werden (neuer Artikel 6b LwG). In beiden Artikeln 6a und 6b LwG wurde zudem festgehalten, dass die betroffenen Branchen- und Produzentenorganisationen sowie weitere betroffene Organisationen Massnahmen ergreifen können, um diese Ziele zu erreichen. Die Vernehmlassung zum Verordnungspaket Parlamentarische Initiative (Pa. Iv.) endete am 18. August. «Die Rückmeldungen der Vernehmlassungsteilnehmer werden zurzeit ausgewertet», schreibt das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) auf Anfrage. Der Bundesrat werde die Verordnungsänderungen bzw. die Bundesmassnahmen voraussichtlich im ersten Trimester 2022 verabschieden.

Die Branche kann…

Darüber hinaus kann nun die Branche weitere Massnahmen entwickeln und umsetzen, die sich zum Teil an den Bundesmassnahmen orientieren können. Es ist ihr aber freigestellt auch losgelöst davon zusätzliche Massnahmen zu ergreifen. «Damit können die Brachen- und Produzentenorganisationen einen Beitrag leisten, um die durch die Pa. Iv. festgelegten Ziele zu erreichen», schreibt das BLW weiter. Das Amt hat am Montag einen Workshop organisiert. Daran haben verschiedene Organisationen aus der Branche teilgenommen. Auffällig ist, dass die Mehrheit der anwesenden Organisationen vonseiten Produktion kommen. Vom Handel war lediglich die IG Detailhandel vertreten. Das BLW hat aber auf Anfrage nicht ausgeführt, wer alles am Workshop teilnahm. Der Branchenansatz in diesem Bereich ist neuartig. «Für die betroffenen Organisationen entstehen so positive, neue Perspektiven. Sie haben die Möglichkeit, eigenverantwortlich und unbürokratisch selber weitere Massnahmen zu entwickeln, die zur Zielerreichung einen wichtigen Beitrag leisten und die Zielerreichung beschleunigen können», heisst es beim BLW. Das Bundesamt begleite diesen Prozess fachlich und biete die Rahmenbedingungen. «Die Verantwortung liegt bei den Branchen- und Produzentenorganisationen», so das BLW. Der Austausch vom vergangenen Montag sei Teil eines Prozesses und diene namentlich dazu, gemeinsam die Rolle und die Organisation der Branchen und Produzentenorganisationen sowie die Schnittstellen zum Bund zu diskutieren.

Arbeitsteilung unklar

Was passiert jetzt? Hier kommt unweigerlich die Diskussion nach der genauen Arbeitsteilung auf. Was gibt der Bund vor, wo greift er ein und welche Verantwortung übernehmen die Akteure entlang der Wertschöpfungskette? Die Liste der Fragen, die es in den kommenden Monaten – wohl gar Jahren – zu beantworten gibt, ist lang. Sicher ist auch, dass nicht undefiniert bleiben kann, welche Verantwortung dem Handel zukommt. Hier hört man oft, dass es diesem in erster Linie um die Sicherung von Marktanteilen geht, insbesondere auch bei Kundensegmenten, für die Nachhaltigkeit nicht im Vordergrund steht, wie mehrere Exponenten gegenüber der BauernZeitung erklären. «Die bestimmenden Faktoren sind Regalplatz und Umsatz. Nachhaltigkeit ist nur eines von mehreren Differenzierungsmerkmalen», sagt beispielsweise Hansjürg Jäger von der Agrarallianz auf Anfrage. Er ist sicher, der Detailhandel halte sich in der Frage der Verantwortung zurück, weil neue Produkte aufgrund der Konkurrenz aus dem Ausland durch den Einkaufstourismus und möglichen Verlusten an Marktanteilen nur sehr zögerlich eingeführt werden.

Beim Zucker ging es

Hier fliegt der Ball zurück zum Bund. Tut er etwas, dass auch weniger nachhaltigkeitsaffine Konsumentinnen und Konsumenten in den Genuss von nachhaltig produzierten Nahrungsmitteln kommen? Greift er aktiv ein oder überlässt er dieses Feld der freiwilligen Massnahmen doch lieber der Branche? Eine mögliche Piste, den Handel stärker in die Pflicht zu nehmen, könnte mit Blick auf einen anderen Prozess Teil der Lösung sein: Mit der Erklärung von Mailand 2019–2024 über die Zusammenarbeit im Rahmen der Zucker- und Salzreduktion in verschiedenen Lebensmittelgruppen haben sich unter der Leitung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) 14 Handels-Unternehmen, wie die Coop Genossenschaft oder der Migros-Genossenschafts-Bund, aber auch Emmi oder Cremo, zu klaren Zielen verpflichtet. Das EDI und die Unternehmen waren sich einig, dass gesundheitsfördernde Rezeptur-Optimierungen und Innovationen in der Lebensmittelproduktion dazu beitragen könnten, die Herausforderungen im Bereich der nichtübertragbaren Krankheiten, wie Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Übergewicht zu meistern. Diese verursachen etwa 80 % der Gesundheitskosten. Heute leiden 2,2 Millionen Menschen in der Schweiz an chronischen Krankheiten. Rund die Hälfte dieser Erkrankungen könne durch einen gesunden Lebensstil vermieden oder deren Auftreten verzögert werden. Ähnliches wäre auch bezüglich eines Bekenntnisses zu nachhaltig produzierten Produkten möglich – mit entsprechendem Profilierungspotenzial für den Detailhandel.