In den letzten vier Jahren sah sich die Landwirtschaft in Bundesbern oft Mehrheiten gegenüber, die kein Verständnis für ihre Anliegen hatten. Bereits befinden sich die nächsten Volks-Initiativen in der Pipeline, die für die Branche ungemütlich werden können. Dennoch ist im Vorfeld der Bundesratswahlen viel von einer vermeintlich mächtigen «Bauernlobby» die Rede. Doch wer ist das? Einer, der es wissen muss, ist Thomas Angeli, Co-Präsident von Lobbywatch.ch.

Thomas Angeli, was ist das, die «Bauernlobby»?

Thomas Angeli: Das wissen Sie wohl besser als ich. Aber im Ernst. Wir haben in der Schweiz sehr viele bäuerliche Vertreter im Parlament. Gewisse Berufsgruppen sind stark übervertreten, am stärksten die Anwälte, aber dann kommen schon sehr bald die Bauern. [IMG 2]

Worin besteht denn der Lobbyismus, den diese Bauernvertreter betreiben?

Zunächst ganz allgemein – Lobbyismus ist nicht etwas, das sich auf eine Berufsgattung oder eine Interessengruppe beschränkt. Sagen wir es so, wer Bauernanliegen nur mit Bauernvertretern durchzubringen versucht, steht auf verlorenem Posten. Es braucht Allianzen. Und das ist etwas, was der Bauernverband extrem gut macht. Das hat man bei «Perspektive Schweiz» gesehen, auch bei vorherigen Allianzen wie etwa bei der Konzernverantwortungs-Initiative.

Wie schafft es der Bauernverband, diese Allianzen zu schmieden?

Indem er immer wieder integrative Persönlichkeiten findet, die das können. Der derzeitige Präsident Markus Ritter etwa ist ein brillanter Kopf. Er kann es mit allen, und vor allem kann er allen beibringen, dass sein Anliegen wichtig ist. Er kann zuhören und einen Deal finden.

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Also alles eine Frage der Köpfe?

Nun, es kommt dazu, dass der SBV ein sehr grosser und auch ein sehr starker Verband ist, durch seine Mitglieder, aber auch durch die Verbindungen zu Unternehmen, Organisationen, den bäuerlichen Versicherungen und Spezialverbänden.

Die Landwirtschaft als Staat im Staat also, mit eigenen Institutionen für jeden Lebens- und Wirtschaftsbereich?

… und sobald dieses Universum bedroht ist, sucht man Allianzen, um es aufrechtzuerhalten.

Wo liegt denn da der Unterschied zu den Gewerkschaften? Es gab doch eine Zeit, in der das Arbeitermilieu ähnlich stark organisiert war, mit Mieterverband, Gewerkschaften, Coop, der SP als Regierungspartei ...

AboAnalyse«Die Bauernlobby»: Ein Feindbild wie aus dem PR-BüroMontag, 11. Dezember 2023 Der Unterschied liegt darin, dass die einen eher links, die anderen eher rechts sind. In der Schweiz sind die Kräfteverhältnisse klar. Für die Bauern ist es einfacher, bei den Bürgerlichen anzudocken. Es wird ja darauf geachtet, dass wichtige Positionen innerhalb des Bauernverbands von bürgerlichen Parlamentariern besetzt werden und dass dabei neben der SVP auch Mitte und Freisinnige zum Zug kommen. Auf linker Seite bleibt da ausser SP und Grünen nicht viel. Die haben weniger Möglichkeiten, Allianzen zu bilden.

Das war nicht immer so. In den Neunzigerjahren arbeitete Peter Bodenmann an einer «Koalition der Vernünftigen» und wollte die Liberalen in FDP und CVP abholen. Gerade bei der FDP ist es doch erstaunlich, dass sie mit den Bauern Allianzen eingeht – Direktzahlungen und Grenzschutz stehen doch im Widerspruch zur «reinen Lehre» der klassischen Liberalen.

Da geht es einfach um ein Geben und Nehmen. Die Massentierhaltungs-Initiative wollten die Bauern nicht, der FDP war es wohl eher egal, aber die FDP wollte unbedingt die Verrechnungssteuer abschaffen. Also tat man sich zusammen. Das sind Interessenabwägungen.

Solche Interessenabwägungen könnte es auch mit Linken und Gewerkschaften geben. Was machen die Bauern da besser?

Der Bauernverband macht eine sehr konzentrierte Interessenpolitik. Die Gewerkschaften sind zwar auch eine starke Interessengruppe mit klaren Zielen wie Mindestlöhnen, höheren Renten, tieferen Krankenkassenprämien. Aber sie haben an politischer Macht verloren und laufen Gefahr, sich zu verzetteln. Die Bauern verzetteln sich nicht.

Spielen bei den Bauernvertretern nicht auch andere Interessen mit? In der «Zeit» wurde Albert Rösti kürzlich als «der doppelte Rösti» gezeichnet: in den Medien Bauernbub, hinter den Kulissen Erdöl- und Autolobbyist.

Rösti ist natürlich ein ausgebuffter Politprofi. Er weiss, wie er wahrgenommen werden will. Er weiss, dass es gut ankommt, wenn er mit den Pferden seiner Frau fotografiert wird.

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Andere setzen auf Schwarznasenschafe …

Wir sind gespannt, für welches Tier sich Beat Jans entscheiden wird. Ich nehme den Bauernverband als recht eigenständig wahr. Er entscheidet pragmatisch, mit wem er sich «ins Bett legen» möchte. Geht es um die Mineralölsteuer kann das durchaus die Öllobby sein, bei Pestiziden gibt es sicher Berührungspunkte mit der Agrochemie. Mit den Daten von Lobbywatch lässt sich das aber nicht belegen, weil solche Lobbyverbindungen gar nie öffentlich werden.

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Wo liegt denn der Unterschied zwischen Lobbying und legitimer Interessenvertretung? Sicher, der SBV-Präsident ruft die Mitglieder schon mal zu Anrufen bei ihren Vertretern im Parlament auf, aber ist das nicht legitim?

Natürlich wählt man Leute, die für die eigenen Interessen einstehen, das gehört zum politischen System. Genauer hinschauen müssen wir, wenn die Spiesse nicht gleich lang sind, wenn zum Beispiel gewisse Kreise fast keine Möglichkeit mehr haben, sich politisch Gehör zu verschaffen.

Die Bauern beklagen, dass die Spiesse nicht mehr gleich lang seien. Klima- und Umweltanliegen finden im Parlament Mehrheiten und stehen auf der Agenda der Grossverteiler. Die Landwirtschaft kann nur noch reagieren. Müsste man da nicht eher von einer «grünen Lobby» sprechen, oder einer «Klimalobby»?

Es gibt da sicher auch Allianzen, aber vom Organisationsgrad her ist das nicht vergleichbar mit einem SBV. Die Umweltorganisationen sind sich auch in vielem nicht einig, etwa wenn es um den Konflikt zwischen erneuerbarer Energien und Landschaftsschutz geht. Aber natürlich gibt es auch andere Lobbys, etwa jene der Krankenkassen, die Pharmalobby, die Tabaklobby. Die Stärke der Bauernlobby liegt in ihrer Fähigkeit, die Reihen zu schliessen, was auch an ihrer Geschichte liegt.

Die Linke kann die Reihen auch gut schliessen. Etwa wenn es um Ausländer, Frauen- und Genderfragen oder Klimakrise geht. Da würde doch auch eine Bauernvertreterin wie Maya Graf niemals ausscheren. Und auch da geht es doch um handfeste materielle Interessen: Sozial- und Umweltpolitik schaffen Jobs und Aufträge, von denen wiederum die urbane und gebildete linke Wählerschaft profitiert. Die SVP spricht bereits von einer «Klima-Industrie».

Ich wäre anstelle der SVP sehr vorsichtig damit, anderen vorzuwerfen, mit staatlichen Geldern Lobbying zu machen. Meines Wissens profitieren die Bauern kräftig von Bundesgeldern für Absatz- und Imagekampagnen. Linke und grüne Anliegen haben politisch viel weniger Potenzial. Viel mehr als 30 Prozent Wählerstimmen liegen nicht drin. Sicher ist es vereinzelt gelungen, Allianzen zu schmieden, wie etwa bei der Abzocker-Initiative von Thomas Minder. Aber solche Erfolge sind für linke und grüne Organisationen nur ganz selten zu erreichen. Sie werden noch lange von der Klimabewegung 2019 erzählen, eben weil sie wissen, dass so etwas nur ganz selten vorkommt.

Immerhin gilt es heute als allgemein akzeptierte Tatsache, dass Staat und Wirtschaft Klimaschutz betreiben müssen. Noch vor wenigen Legislaturen war das eine Aussenseiterposition.

Vielleicht ist in diesem Fall das Problem einfach so gross geworden, dass es nun jeder sieht. Man kann nicht alles mit Lobbyismus erklären, sondern viel mehr mit dem gesellschaftlichen Wandel, der ja nicht nur die Schweiz betrifft.